berliner szenen
: Flair der fernen Inkakultur

Welche Küche Lateinamerikas die beste ist, darüber wird heftig gestritten. Einmal wohnte ich für zwei Wochen in Lima bei einem Herren, der das Zimmer seines ausgezogenen Sohnes vermietete – mit Frühstück. Er versprach mir, dass die peruanische Küche so vielfältig sei, dass er jeden Morgen etwas anderes zubereiten würde. Er hielt Wort. Mal gab es krosse Schweineschwarten, mal Tigermilch (Weißfisch vom Markt gewürfelt mit Zitronensaft und Chilischoten im Plastikbecher, die Urform des Ceviche), mal in ein Bananenblatt gewickelten Maisgrieß mit Hühnchen. Jahre später war ich bei einem Kulturfestival in Saltillo, Nordmexiko. Der Kurator ließ es sich nicht nehmen, für alle zu kochen – bis heute spüre ich, wie sich die gegrillten Krakenarme an meinem Gaumen festsaugen.

In Berlin gehe ich selten in „lateinamerikanische“ Restaurants. Meist offeriert ihre Karte Tex-Mex-Kost in rauchig-süßen Soßen oder totfrittierte Empanadas. Doch ein paar Kollegen riefen zum Stammtisch. Wir aßen im Außenbereich eines Lokals, das der ausladenden Hutkrempe eines mexikanischen Revolutionsführers huldigte und das „Flair der fernen Inkakultur“ versprach.

Während wir uns updateten, was passiert war, als wir uns pandemiebedingt nicht treffen konnten, achteten wir kaum auf das, was wir zu uns nahmen: käsetriefende Burritos, Salate mit Rinderfiletstreifen. Beißender Rauch riss uns aus dem Gespräch. Ein grüner Käfer brannte. Junge Männer sprangen mit Feuerlöschern aus umliegenden Bars. Wir standen auf und sahen, wie sich die junge Fahrerin in den Wagen stürzte, um ihre Handtasche zu retten. Ich dachte, genau so auf den Punkt, kurz vor der Explosion der Geschmacksnerven, ist das beste Essen Lateinamerikas – und kaute weiter auf einem ledrigen Filetstreifen herum.

Timo Berger