Debatte um das Berliner Stadtschloss: Ein Volksschloss sicher nicht
Kann die Replik einer einstigen Herrscherresidenz Symbol für das demokratische Deutschland sein? Nein, sagt der Historiker Yves Müller.
W ir werden das königliche Schloss – manche sagen Humboldt Forum – wohl nicht mehr los. Nun steht es da, das Kreuz obendrauf und die Selfie-süchtigen Menschenmassen zu Füßen. Die Historikerin Hedwig Richter schlug kürzlich in der taz vor, wir sollten uns damit arrangieren. In der deutschesten aller Kompetenzen, der „Empörungskompetenz“, hätten wir verlernt, uns an der einfachen Schönheit des Baus zu erfreuen. Richter prognostiziert: Vielleicht wird das Ding ja zum „Volksbau schlechthin“?
Nein, weder Schloss noch Nachbau waren dem Volk – wie auch immer es definiert sein mag – gewidmet. Das Original war eine Herrscherresidenz, sein Replikat ist architektonischer Ausdruck einer Nationalromantik, die die Berliner Republik heimsucht. Immerhin, der Eintritt wird frei sein.
Heute wie damals: Die Masse darf auf der alten „Via Triumphalis“ (Unter den Linden) flanieren und royale Herrlichkeit bestaunen. Hier steht ein Reiterstandbild Friedrichs des Großen, auf dem Brandenburger Tor galoppiert die im Jahr des Herrn 1806 von Napoleon entführte Quadriga, das von der Siegesgöttin dressierte Vierergespann. Am anderen Ende der Achse ragt die Siegessäule empor, mit der von den Berliner:innen liebevoll „Goldelse“ getauften Statue der Borussia, bepackt mit Adlerhelm, Lorbeerkranz und Eisernem Kreuz. Rundherum gruppieren sich „große Männer“, die die Geschicke Preußen-Deutschlands auf irgendeine Weise geprägt hatten, unter anderem ein bei manchem Bedenkenträger aufgrund seiner Rolle im Kolonialismus in Verruf geratener Otto von Bismarck.
Der Neubau eignet sich nicht als Symbol des demokratischen Deutschland. Das liegt bereits an der Geschichte des Schlosses und der unheilvollen Rolle der Hohenzollern. Es waren herrschaftliche Zeiten, in denen der erste preußische König (Friedrich I. krönte sich eigenhändig) das alte Berlin zur barocken Residenz umgrub und sein Schloss errichtete. Unter Friedrich Wilhelm IV. wurde das Schloss zum Monument der Gegenrevolution. Hier gingen sie ein, die Angehörigen der Kamarilla, des Königs privates Regierungskabinett. Dieser erlauchte Kreis von einem Dutzend Männern strebte nach einer Rückkehr zum vorrevolutionären Ancien Régime.
geboren 1982, ist Doktorand an der Uni Hamburg und beschäftigt sich eigentlich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der extremen Rechten. Eine ungekürzte Fassung dieses Textes erscheint auf zeitgeschichte-online.de
Die Französische Revolution und ihre Idee wollte man rückgängig machen und eine Theokratie, ein „Reich Gottes“ errichten. Dazu brachte man Armee und Geheimpolizei, Zensur und romantische Literatur in Stellung. Die Barrikadenkämpfe vom März 1848 gaben einen Vorgeschmack auf das Gespenst, das da umherging. Noch konnte der schöngeistige König die demokratischen Forderungen abweisen, indem er die Einigkeit des Volkes anrief und das Bürgertum gegen die Arbeiter:innen einsetzte. Weder Revolution noch Gottesstaat kamen, stattdessen ein Kaiserreich. Richter sagt, dass die Monarchie „ja grundsätzlich kein dubioses Unrechtsregime“ gewesen sei. Ja was denn sonst? Diese angeblich „weithin akzeptierte Regierungsform“ hielt es nicht für nötig, die Kolonisierten um Erlaubnis zu bitten. Das Dreiklassenwahlrecht benachteiligte die absolute Mehrheit des preußisch-deutschen Wahlvolks.
Erst 1918 zog der Kaiser aus dem Schloss – nach einem zuerst angezettelten, dann verlorenen Weltkrieg – und Karl Liebknecht proklamierte dort die sozialistische Republik. Die Volksmarinedivision, eine Truppe revolutionärer Matrosen, nahm im Schloss Quartier, wurde aber bereits zur ersten republikanischen Weihnacht wieder rausgeworfen – zu links. Eine Ära des demokratischen Preußen begann – und endete 1932 mit dem „Preußenschlag“, der die Zerstörung der Weimarer Republik einläutete. Obwohl sich die Hohenzollern sehr um die Gunst der Nazis bemühten, erlebte die Monarchie kein Revival. Offiziell hörte Preußen 1947 auf zu existieren.
Das im Krieg stark beschädigte Schloss hielt nur drei Jahre länger und wurde 1950 gesprengt. Hier erbaute die DDR einen „Palast der Republik“, der nun wirklich dem Volk gehören sollte. Aber die Versöhnung der Herrschenden mit den Beherrschten misslang. 1989 zogen die Demonstrant:innen an der braunen Glasfassade vorüber und dem Schriftsteller Stefan Heym war, „als habe einer die Fenster aufgestoßen“. Nun hätte er tatsächlich ein Volkspalast werden können, doch es fand sich Asbest und der Bau wurde abgerissen.
Von alldem erfahren die Tourist:innen wenig, wenn sie staunend durch das Berliner „Retrotopia“ (Zygmunt Bauman) wandeln. Viele Berliner:innen ahnen nichts davon, wenn sie ungläubig auf das strahlende Kreuz auf der Schlosskuppel blicken. Dass an der Stelle des alten, neuen Stadtschlosses dereinst ein Palast der Republik stand? Geschenkt. Die „Kleingeister“ (Richter) wird nichts mehr interessieren, als auf der Einheitswippe herumzuschaukeln. Den Vorwurf der Geschichtslosigkeit muss sich diese eklektische Architektur gefallen lassen.
Kein Shopping, keine blühenden Landschaften
Aber vielleicht gelingt vor den Toren des Schlosses der mühsame ostwestdeutsche Einigungsprozess ja erneut, so wie einst auf dem Potsdamer Platz, hofft Richter. Statt einem Volkspalast schenkte die Wiedervereinigung den „Ossis“ Konsumtempel wie ebenjenen Platz in Berlins Mitte, der wie kein anderer für die Teilung stand und zum Symbol deutscher Einheit hatte werden sollen. Da begegnete der Ostdeutsche nach der Wende frei nach Richter dann offenbar auch den ersten Migrantenkids. Und er sah, dass es gut war. Heute geht übrigens niemand mehr am Potsdamer Platz shoppen. Der scheint ebenso gescheitert wie die „blühenden Landschaften“ (Helmut Kohl) Ostdeutschlands.
Doch kehren wir vom verwaisten Potsdamer Platz zurück zum Schloss. Wird ein Ort bereits zur „Agora“, in der sich „Menschen aus aller Welt begegnen“ (Richter), nur weil er in sämtlichen Reiseführern als „must see“ steht? Natürlich nicht. Denn demokratische Prozesse – das weiß die Demokratieforscherin Richter natürlich genau – sind komplex, widersprüchlich und manchmal sehr zäh.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Der republikanische Staat hat die Aufgabe, diese Prozesse so partizipativ wie möglich zu gestalten und dabei die Interessen der vielen wie der Minderheiten zu berücksichtigen. Weder die einen noch die anderen hatten beim Schlossbau eine Stimme. Ein „Volksbau“ also? Sicherlich, der Schlossbau wurde 2002 „vom Parlament besiegelt“. Beschlossen wurde eine leere Hülle, denn darum ging es dem „Ostelbier“ Wilhelm von Boddien, der Abgeordnetenstimmen für das Schloss sammelte, und der „Mäzenin“ Maren Otto, die die Kuppel sponserte. Daher kann niemand zufrieden sein.
Geht es also wirklich nur um den guten Geschmack? Muss man da gelassen bleiben und Neutralität wahren, zumal als Historiker:in? Die Vergangenheit und ihre Interpretation sind immer politisch, denn sie sind von funktionaler Bedeutung für die Konstituierung nationaler Identität. Wäre es nicht Aufgabe kritischer Geschichtswissenschaft und Zivilgesellschaft, eben damit zu brechen und sich mit den Vergessenen der Geschichte zu solidarisieren, mithin liebgewonnene Identitäten zu verunsichern? Vielleicht werden die Bürger:innen dann auch zu aktiven Subjekten ihrer Gegenwart. Dann legen sie die Selfie-Sticks beiseite und googeln mal, wer das alte Schloss aufgebaut, wer darin als Diener schuften musste. Und im Lustgarten davor würden sich die Menschen versammeln, wie auf einer Agora, und bis zur Morgenröte diskutieren.
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