: Warten auf das Ende
Zum Start der Theater-Spielzeit 2020/21 gibt es reduzierte Platzkapazitäten und Spuckschutz zwischen den Sitzen. Viele Spielstätten eröffnen mit Klassikern
Von René Hamann
Natürlich gibt es im Moment auch für das Theater nur ein Thema: Corona und die Hygienemaßnahmen. Haben diverse Spielstätten noch im Frühsommer versucht, mit Aufführungen im Freien und äußerst begrenzter Zuschauerzahl sich den neuen Begebenheiten anzupassen, dürfte es für die Häuser nach offiziellem Spielbeginn im Herbst eine schwierige Zeit werden.
Die Konzepte, die man sich ausgedacht hat, um im Winter der Pandemie überleben zu können und eventuelle Hotspots und damit Schließungen zu vermeiden, ähneln sich und unterscheiden sich lediglich in Details. Dennoch hoffen die Häuser der Republik, dem Publikum ein gewohnt innovatives wie diskursanfachendes Programm bieten zu können.
Das Schauspiel Köln beginnt dann zum Beispiel die neue Spielzeit zielsicher mit „Warten auf Godot“ (4. 9., 19.30 Uhr, Depot 1) unter der Regie von Jan Bosse. Auch hier wird mit Coronakonzepten gearbeitet, unter anderem mit Onlinevorverkauf und der „Reduzierung der Platzkapazitäten“; das heißt, auch hier wird man sich an entschraubte Stühle gewöhnen müssen, um den Abstand zwischen den Sitzenden zu gewährleisten; ein Anblick, der immer ein wenig an Zahnlücken erinnert, aber was hilft’s.
Neben dem Warten auf das Ende von Corona, das hoffentlich – Vorsicht Spoiler – im Gegensatz zu Godot irgendwann kommt, wütet in Köln noch die „Hermannschlacht“ von Kleist in der Inszenierung von Oliver Frljić (Premiere am 5. 9., 20 Uhr, Depot 2), und es gibt ein Jelinek-Stück, nämlich „Schwarzwasser“, unter der Regie von Stefan Bachmann (Premiere am 12. 9., 20 Uhr, Depot 1). Schade allerdings, dass es in Köln keine Regisseurinnen mehr zu geben scheint.
Das könnte daran liegen, dass Karin Beier, früher Intendantin in Köln, schon lange in Hamburg ist. Im Schauspielhaus Hamburg startet denn auch das Theaterereignis der nächsten Spielzeit, wenn man so will. Beier herself inszeniert ein nagelneues Stück von Rainald Goetz, der sich schon lange nicht mehr öffentlich geäußert hat. Das „Reich des Todes“ feiert am 11. September Premiere (19.30 Uhr). In der Ankündigung heißt es: „,Vive la crise!“, dieses Zitat von Proust könnte Rainald Goetz seinem neuen Theaterstück voranstellen, denn auch er beschreibt eine Regierung, die im Schatten einer drohenden Gefahr mit Furor und vermeintlich patriotischem Eifer Demokratiezerstörung betreibt.“ Sogar der inzwischen 70-jährige Burghart Klaußner spielt mit.
Das Thalia indes setzt voll auf Plexiglas: also Spuckschutz zwischen den Sitzen wie im Supermarkt, was den Vorteil hat, dass mehr Zuschauer in den Saal passen. Starten will man indes auch mit Klassischem, neben „Hyperion“ nach Hölderlin (bereits am 25. 8.) darf man besonders auf „Paradies“ von Thomas Klöck (Regie: Christopher Rüping, 5. 9., 19.30 Uhr) und „Der Geizige“ von Molière unter der Regie von Leander Haußmann (12. 9., 19 Uhr) gespannt sein.
In Berlin hat man sich auch weitgehend auf die neuen Herausforderungen eingestellt. Die Volksbühne präsentiert sich noch einigermaßen zurückhaltend, eröffnet am 11. September immerhin mit „Iphigenie. Traurig und geil im Taurerland“ nach Euripides und Stefanie Sargnagel (19.30 Uhr). Das Berliner Ensemble, von dem wir die schönsten Zahnlückenstuhlreihenbilder kennen, gibt Olga Grjasnowas „Gott ist nicht schüchtern“ im Großen Haus (4. 9., 19.30 Uhr), Regie führt Laura Linnenbaum (Frauenpower!) vor maximal 200 statt 700 Zuschauern.
Das Maxim Gorki eröffnete bereits gestern mit „Berlin Oranienplatz“ (im Theater, nicht im Freien); postmigrantisches Theater von Hakan Savaş Mican. Die Schaubühne startet nach Umbaupause hingegen erst am 15. Oktober mit „Everywoman“ von Milo Rau und Ursina Lardi, das bei den Salzburger Festspielen Premiere feierte, sowie mit „Das Leben des Vernon Subutex 1“ nach Virginie Despentes unter der Regie von Thomas Ostermeier.
Köln Schauspiel Köln: „Warten auf Godot", Regie: Jan Bosse (Premiere 4. 9., 19.30 Uhr, Depot 1), „Hermannschlacht" von Heinrich von Kleist, Regie: Jan Bosse (Premiere 5. 9., 20 Uhr, Depot 2) „Schwarzwasser" von Elfride Jelinek, Regie Stefan Bachmann (Premiere 12. 9., 20 Uhr, Depot 1).
Hamburg Schauspielhaus „Reich des Todes“ von Rainald Goetz (Premiere 11. 9., 19.30 Uhr). Thalia Theater „Paradies“ von Thomas Klöck (Premiere 5. 9., 19.30 Uhr) und „Der Geizige“ von Molière, Regie: Leander Haußmann (Premiere 12. 9., 19 Uhr).
Berlin Volksbühne „Iphigenie. Traurig und geil im Taurerland“ nach Euripides (Premiere 11. 9., 19.30 Uhr). Berliner Ensemble „Gott ist nicht schüchtern“ von Olga Grjasnowa, Regie: Laura Linnenbaum (Premiere 4. 9., 19.30 Uhr). Gorki Theater „Berlin Oranienplatz" von Hakan Savaş Mican (ab 28. 8.). Schaubühne „Everywoman“ von Milo Rau (Premiere 15. 10.). Deutsches Theater „Melissa kriegt alles“ von René Pollesch (Uraufführung 29. 8. 19.30 Uhr).München Residenz Theater Heinrich von Kleists „Das Erdbeben in Chili“, Regie: Ulrich Rasche (Premiere 25. 9.)
Das Deutsche Theater schließlich hat heute „Melissa kriegt alles“ von und unter der Regie von René Pollesch als Uraufführung im Programm (19.30 Uhr). Vorher gab es schon die Romanverstückungen von „Tschick“ und „Transit“ als Freiluftaufführungen.
In München spielt das Residenz Theater Kleist, diesmal „Das Erdbeben in Chili“, inszeniert von Ulrich Rasche (Premiere erst am 25. September); die Münchner Kammerspiele eröffnen die Spielzeit 2020/21 gar erst am 8. Oktober.
In Karlsruhe hingegen gibt es ganz andere Probleme, solche, die in ihrer Theaterhaftigkeit fast schon altertümlich anmuten: Die Rede ist von einem „toxischen Arbeitsklima“, von „Kontrollzwang, beständigem Misstrauen, cholerischen Ausfällen“ seitens des weithin umstrittenen Intendanten des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, Peter Spuhler. Der aber immer noch schön an seiner Position klebt und partout nichts einsehen oder gar gehen will. Der Spielbeginn findet dementsprechend erst spät statt und bietet keinerlei Überraschungen. Man sollte das Haus trotzdem im Auge behalten.
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