Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: The Tide is High

Foto: Roberta Sant'anna

Was mir fehlt, ist das Pfeifen“, sagt der Freund beim Gang entlang des Kanals.

„Ich hab dich noch nie pfeifen hören!“

„Ich hab sonst oft vor mich hin gepfiffen und dabei war ich glücklich. Jetzt würde dabei jeder bloß an das Ansteckungsrisiko denken.“

„Dann pfeif doch zu Hause.“

„Nein, es muss schon beim Spaziergang sein. Und ich mochte es, wenn Leute mich dann wohlwollend verschmitzt angesehen haben – sie hielten mich vielleicht für einen Lebenskünstler – oder zumindest einen Künstler.“

„Das bist du doch auch!“

„Nein, ich bin Auftragsmusiker, das ist keine Kunst. Aber wenn ich pfiff, kamen plötzlich ganz wilde Melodien zu mir und die hab ich dann einfach wieder vergessen und das war in Ordnung. Kunst verfolgt keinen Zweck.“

„Dann pfeif doch jetzt, mich würd es nicht stören.“

„Nee, nee, das geht doch nicht, dabei pustet man eventuell etwas Böses aus sich heraus und dann schwebt es hier überall herum und eine harmlose Melodie wird womöglich zum tödlichen Risiko.“

„Aber wie soll hier was rumschweben? Es regnet.“

„Naja, es ist ja eher Nieselregen, da könnten die Aerosole sich gut dazwischen schieben und perfekt tarnen.“

„Ich hab gehört, je feuchter die Luft, desto schneller sinken diese Teile zu Boden.“

„Gilt Regen als Luftfeuchtigkeit?“

„Gute Frage, aber praktisch trifft das eindeutig zu. Jetzt pfeif schon!“

„Nee, ich will nicht angeschrien werden.“

„Du könntest stattdessen summen.“

„Ja, vielleicht summe ich. Summst du mit?“

„Welches Lied?“

„Ich weiß nicht. Neulich hat bei Twitter eine gefragt, welches Lied man wählen würde, wäre es das einzige Lied, das man dann für den Rest seines Lebens hören dürfte.“

„Welche Irre fragt so was?“

„Vielleicht war sie in Quarantäne.“

„Hast du die Frage beantwortet?“

„Ich konnte mich nicht entscheiden, aber ich hab mir alles durchgelesen und jedes mir bekannte Lied dabei angepfiffen.“

„Welche Lieder kamen vor?“

„Am häufigsten Bohemian Rhapsody von Queen.“

„Wie soll man das pfeifen?“

„Das ist schon eine Herausforderung.“

„Ich würde vielleicht ein Lied ohne Melodie wählen, allzu Melodisches hört man sich am schnellsten über.“

„Was dich schnell packt, geht dir auch am schnellsten auf den Geist und reizt sich aus.“

„Es ist so wie mit dem Blutzucker, von Fast Food steigt er schnell an und sinkt rasant wieder ab.“

„Ich weiß, welches Lied ich wählen würde!“

„Welches?“

„Na, dieses eine … das hat zwar ziemlich viel Melodie, aber ich krieg davon immer gute Laune. Von der Band mit der Sängerin, Achtziger, die hatten einen Diskowelt­hit, aber den mein ich nicht, ich komm nicht auf den Namen. Das Lied kam in dem Film vor, wo eine durchgeknallte Frau unbedingt heiraten will und ihre Erzfeindinnen tanzen in Hula-Röcken zu diesem Lied.“

„Klingt nach einem ziemlich merkwürdigen Film. Gute Laune brauch ich dringend. Summ mal.“

„Mhmhmhmhmhmmmmmhmhmhmmmhmhmhm.“

„Ach das, wundervoll! Mhmmmhmhmh.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.