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Trip to Montenegro

ADRIA Wer mit dem Motorrad vom kroatischen Porec ins montenegrinische Podgorica fährt, durchquert einen Mix europäischer Geschichte

Der Autor

■ Nenad Popovic: geboren 1950 in Zagreb, studierte in Zagreb, Bonn und Freiburg/Br. 1991 gründete er seinen Verlag Durieux. 1999 war er Mitbegründer der Gruppe 99, eines Gesprächsforums von Autoren aus dem früheren Jugoslawien. Er gehört zu den wenigen, die in der Hochphase der Jugoslawienkriege den Kontakt zu den Nachbarn nicht abbrachen.

■ Veröffentlichungen: Nenad Popovic ist u. a. Herausgeber der Anthologie „Kein Gott in Susedgrad. Neue kroatische Prosa“, Schöffling, Frankfurt/M. 2008.

■ Der Text: Eine gekürzte Version aus: „Illusion der Nähe. Ausblicke auf die europäische Nachbarschaft von morgen“. Herausgegeben von Christoph Bartmann, Carola Dürr, Klaus-Dieter Lehmann für das Goethe-Institut, Göttingen, 2011, 268 Seiten, 20 Euro

VON NENAD POPOVIC

Wenn Sie wie ich aus Zagreb stammen und nicht mehr in der vollen Jugendblüte stehen (geboren 1950), dann ist eine Fahrt entlang der Adria eine Mischung aus Bildern der Kindheit (erste Ferien mit den Eltern), danach der Jugendzeit, wenn Dalmatien per Anhalter entdeckt wird und man unter Pinien übernachtet, gesetzeswidrig, und späterer, „reiferer“ Erlebnisse von Theater- und Konzertaufführungen unter dem freien Himmel Dubrovniks und im Diokletianspalast in Split.

Mit der Zeit kommen dann historische Lektüren und das Wissen über die Orte dazu. Über das byzantinische Dalmatien, über Napoleon als Modernisierer (er ließ in Zadar die erste Zeitung auf Kroatisch drucken und die erste ernst zu nehmende Straße durch den Stein schlagen).

Und dann beginnt man zu begreifen, dass es über Jahrhunderte hinweg eine Republik Dubrovnik gegeben hat und dass auch die Frage nach der Identität Istriens keine einfache ist: slawisch, venezianisch oder italienisch?

Schließlich kamen die historischen Erfahrungen in real time: Der Angriff auf Dubrovnik, Zadar jahrelang umzingelt (es gab kaum Strom und Wasser), die Flüchtlinge in den Hotels von Rijeka und Opatija, eine Küste ohne Touristen, von einer surrealen Leere. Dann, nach dem Jahr 2000, die wiederhergestellte Normalität, die Versöhnung mit Montenegro, die Rückkehr der serbischen Urlauber.

Touristische Schmuckausgaben

Hinter Dubrovnik – nur ein kurzer Blick oben von der Straße auf die Stadt – fährt man noch 25 Minuten durch eine idyllische Landschaft voller Zypressen: Konavle. Dann, auf einem kleinen Pass, das Ende von Kroatien. Seinerzeit habe ich die Grenze noch als eine angespannte, schwierige Kriegsgrenze erlebt. Heute ist der Übergang ein normaler, mit entspannten Grenzern auf beiden Seiten. In Minutenabständen kommen Ausflugsbusse aus Dubrovnik an, in Richtung Boka Kotorska und der alten Hauptstadt Montenegros, Cetinje. Auch in der Gegenrichtung eine Kolonne.

Ich fahre in Herzeg-Novi ein, die erste Stadt nach der Grenze. Man verschönert sie langsam, entbalkanisiert sie. Bis vor Kurzen war sie ein urbanes Monstrum, Paradebeispiel jugoslawischer Verwahrlosung: instant slum. Nun aber machen die Einwohner nach und nach ihre Gärten schön und stellen Blumen vor ihre Fenster. Warum gerade jetzt, nach dem Sieg der Demokratie in Montenegro?

Die Wechselbeziehung zwischen Geranien und Demokratie ist mysteriös. Der Sozialismus hat das Pflanzen von Oleander und Rosenbeeten nicht verboten. Merkwürdig, aber das Gleiche konnte man auch in Kroatien nach den ersten freien Wahlen beobachten. Die Regionen Zagorje und Moslavina begannen wie touristische Schmuckausgaben von Österreich auszusehen.

Etwas später, im großartigen Amphitheater Budva, zwischen hohen, steinigen Bergwänden und dem kilometerweiten Oval des „brasilianischen“ Sandstrands, werden auf den letzten noch verbliebenen Quadratzentimetern zusätzliche Hotels und Gebäude mit Luxuswohnungen hochgezogen. Auf ebenso überdimensionierten Billboards von Immobilienagenturen werden sie zum Verkauf angeboten, in russischer Sprache.

Unmittelbar im Stadtzentrum beginnt der steile Aufstieg nach Cetinje und Podgorica. Er ist schwindelerregend, aber die Straße ist gut gebaut, die Suzuki nimmt die Steigung mit Leichtigkeit.

Wie aus dem Flugzeug blickt man von hier auf Budva, Abbild eines unglaublichen Booms. In der Bucht kreuzen langsam Dutzende Motoryachten und Segelboote, aus der Stadt ragen hohe Baukräne auf. Fortschritt auf Amerikanisch.

Nach anderthalb Tagen mache ich erleichtert den Motor aus. Vor dem großen Hotel Crna Gora, einem modernistischen Bau aus den Fünfzigerjahren, erbaut zum Ruhme einer neuen Zeit. Im Zimmer schwere rote Samtvorhänge, die ein angenehmes Halbdunkel erzeugen

Um halb elf am nächsten Tag warten vor dem Hotel zwei Busse und fahren geladene Gäste in Richtung der Vorstädte, des Flughafens und des riesigen Areals der ehemaligen jugoslawischen Armee. Wir fahren in diese verbotene, gefährliche Zone, die ich mit einer Spur von Angst aus dem Jahr 1999 gut erinnere: ein graues Meer aus Panzern und Lastwagen, Feldzelten, Stacheldraht. Nach fünfzehn Minuten biegen die Busse von der Hauptstraße ab, ein schmaler Weg führt durch ein leeres, ödes Feld. Eine Rampe, ein Wachmann. Und dann das Spektakel. Gepflegte Blumenbeete, kunstvoll angelegte Palmen und Pinien. Vom Parkplatz wandern wir einem kleinen Hügel entgegen, am Fuß des Hügels steht ein großes, aus Stein gehauenes Bogentor, das den Weg zum Hangar für Kriegsflugzeuge weist.

Angekommen in der Postmoderne

Aber auch dieser schauderhafte Rachen wurde domestiziert. An den Felsen fließt ein kleiner Bach herunter. Wasser strömt und plätschert herab durch Blumen und Pflanzen. Hat man den riesigen Rachen der Bunkeranlage durchschritten, erlebt man einen thermischen Schock: Draußen sind es über 30 Grad, drinnen in der Höhle eisige 12 Grad.

Es ist sofort spürbar und allgegenwärtig: Hier wohnte das Biest. Der roh herausgeschlagene Tunnel ist an die 12 Meter hoch und hat gut 25 Meter Breite. Das graue Gewölbe ist vorn grell beleuchtet, nach ungefähr hundert Metern verliert es sich im Halbdunkel. Der Tunnel macht dort eine große Kurve. In diesem unterirdischen Verlies wurden zwanzig bis dreißig MiGs geparkt. Jahrein, jahraus warteten sie darauf, ihre Düsenmotoren anzulassen, ans Tageslicht zu fahren und sich dann in den Himmel über Jugoslawien zu erheben – um den Feind zu verjagen. Einen Feind, der allerdings nie erschienen ist, sodass die infernalische Maschinerie verrückt wurde und sich auf das eigene Land stürzte. Der Tunnel atmet noch die Leere eines Landes, das es nicht mehr gibt.

Im Tunnel wird das grobe Gewölbe indirekt von Halogenlicht bester Qualität angestrahlt. Rechts ist eine lange Balustrade aus irgendeinem Hightech-Metall. An einer balkonartigen Verbreiterung spielt eine Jazzband. Unten reihen sich große, dunkle Weinfässer aneinander. Davor ein Dutzend hoher Tische mit Spitzenweinen in Karaffen. Elegante junge Kellnerinnen und Kellner bieten uns den montenegrinischen Prosciutto und den Käse des Landes an. Sie kommen aus seitlichen Sälen, einer für jedes Flugzeug, das dort geparkt wurde. Ich kann es nicht glauben. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich erblicke, was Postmoderne wirklich ist – und das gleich in der bestmöglichen Version.

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