Rollen oder tragen?
Rollen

Reisen Mit ihren praktischen Trolleys rumpeln Touristen Tag und Nacht durch die Straßen. Manch einer wünscht sich den klassischen Tragekoffer zurück

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Brigitte Wolf, 53, leitet Vertrieb und Marketing der Lufthansa Worldshop GmbH

Welchen Koffer bevorzugt der deutsche Globetrotter? Den Koffer ohne, den mit zwei oder mit vier Rollen? Der Trend bei den vielfliegenden Geschäfts- und Privatreisenden ist eindeutig: Er geht zum „Multi-Wheel“-Gepäckstück. Koffer und Bordtrolleys, die nicht wenigstens mit zwei Rollen ausgestattet sind, gibt es bei den Marken-Anbietern so gut wie gar nicht mehr, sie haben bei den Kunden kaum noch eine Chance. Absolute Favoriten sind jedoch in den letzten Jahren die Koffer und Trolleys, die mit vier leicht laufenden Rollen ausgestattet sind. Unsere Beobachtung ist: Je reiseerfahrener der Kunde, desto mehr legt er Wert auf Reisegepäck, das möglichst wenig Gewicht auf die Waage bringt. Man könnte auch sagen: Zeige mir deinen Koffer, und ich sage dir, ob du ein welterfahrener Reiseprofi bist. Zu unseren Stammkunden gehören auch tausende Piloten und FlugbegleiterInnen. Es ist schon bezeichnend, dass gerade bei diesen Reiseprofis Multi-Wheel-Koffer und -Trolleys ganz eindeutig die Favoriten sind. Mein Tipp für Vielflieger wie für nur gelegentlich Reisende: Wenn du auf eine Reise gehst, mach’s wie die Reiseprofis – lass die Rollen die Arbeit für dich tun. Seine Kräfte sollte man für Besseres einsetzen als für unsinniges Kofferschleppen.

Sandra Lipovac, 39, ist Vorsitzende des Netzwerks Die Orthopädinnen e. V.

Entscheidend für den Erfolg des Rollkoffers war der leichtere Umgang mit den immer schwerer werdenden Gepäckstücken. Es liegt auf der Hand, dass es anatomisch für die Körperstatik besser ist, etwas zu schieben als einseitig zu tragen. Auch wenn beim Tragen die Seiten gewechselt werden können, tendiert der Mensch dazu, den stärkeren Arm zu benutzen. Menschen mit Rückenleiden wissen, wie schädlich und schmerzhaft dies sein kann. Aber auch die Belastung für den Arm ist beim Tragen nicht zu unterschätzen. Muskelverspannungen und Sehnenreizungen können den Start in den Urlaub schon erheblich stören. Doch es gilt immer zu bedenken: Auch ein rollender Koffer muss irgendwann einmal angehoben werden. Daher: Packen Sie ihn nicht zu voll! Und achten Sie beim Kauf auf die richtige Länge des Teleskopgriffes, damit Sie sich nicht trotz Rollkoffer schief belasten.

Christopher Ruge, 22, Concierge im Hotel Adlon, gewann den Berliner Pagenlauf

Ganz zu Anfang waren Rollkoffer sperrig und schwer zu ziehen. Die Nutzungsqualität steckte noch in den Kinderschuhen. Ein echter Gentleman trug daher seinen Koffer und auch den seiner Frau. Ein schlauer Kopf verpasste ihm dann vier Rollen. Es war nun eleganter, den Koffer vor sich herzuschieben, was das Reisen erheblich komfortabler machte. Dem Trolley haftet aber auch ein leicht negatives Image an, da ihn besonders eingefleischte Großstädter als Inbegriff des Touri-Wahnsinns sehen. Seine Rollen machen genau dann Krach auf der Straße, wenn der Städter seine Ruhe will – sprich in den frühen Morgenstunden. Schnell wird verdrängt, dass bei ihm auch noch ein Trolley in der Ecke steht, mit dem er auch mal in die Großstadt kam. Viele schimpfen auf den Trolley, aber sie können seine Vorteile nicht leugnen: Er ist praktisch und schont den Rücken. Auch wenn ich geborener Großstädter bin und der schnellste Kofferschlepper beim Berliner Pagenlauf war, ich ziehe es vor, meinen Koffer zu rollen – und auch den meiner Freundin.

Tragen

Luna Laboo, 31, Designerin aus London, ersteigert und sammelt verlorenes Gepäck

Ich fürchte mich ein wenig vor Rollkoffern, sie sind gefährlich – nicht für ihre Besitzer, aber für alle anderen armen Seelen, die auf denselben Bahn- und Flughäfen unterwegs sind wie die kleinen rollenden Teufel. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich schon über einen Rollkoffer gestolpert bin und mit dem Gesicht nach unten in der Wartehalle lag. Sie sollten eine Warnlampe tragen oder Geräusche machen wie ein Lkw, wenn er rückwärts fährt. Oder sollte ich aufpassen, wo ich langlaufe? Nein: Der Koffer ist schuld!

Philipp Tingler, 41, Deutschschweizer, ist Schriftsteller, Philosoph und Reisekolumnist

Unlängst sah ich an meinem Heimatflughafen Zürich das schlimmste Reisezubehör aller Zeiten (SchliRaZ): ein Schalenkoffer mit ausklappbarem Roller. Ein sogenannter Trolley Scooter. Damit werden zwei der nervtötendsten Gerätschaften der Neuzeit kombiniert. Viele Leute behaupten ja, Rollkoffer wären irre praktisch. Aber „praktisch“ ist nicht immer die entscheidende Kategorie. Am praktischsten ist es schließlich, gleich zuhause zu bleiben. Fest steht: Trolleys mit Teleskopgriff sind in keiner Ausführung cool oder geschmackvoll. Denn seit der Cro-Magnon-Zeit gibt es nur zwei stilvolle Methoden, mit Gepäck umzugehen: Entweder man lässt es jemanden tragen. Oder man trägt es selbst. Aber man rollt es nicht geräuschvoll an einer Plastikstange hinter sich her.

Tex Rubinowitz, 50, ist Autor von „Rumgurken: Reisen ohne Plan, aber mit Ziel“

Wenn ich verreise, nehme ich nie größeres Gepäck mit, natürlich auf gar keinen Fall einen Rucksack oder Rollkoffer, mir unverständlich, wie ein denkender Mensch mit Prothesen wie diesen sein stromlinienförmiges Selbst paradoxerweise freiwillig amputiert. Gepäck muss hübsch klein bleiben. Man packt ökonomisch. Rollkofferreisende sind gedankenlos, unselbständig und unästhetisch, sie verlagern die Verantwortung auf diese lächerlichen Räderchen, machen ein hässliches Geräusch und sehen dabei so töricht und hilflos aus wie ein Riesenbaby mit vollen Windeln, was sie wiederum mit Rucksackreisenden gemeinsam haben, die nur alles umstoßen. Ideales Reisen ist das unauffällige Reisen, denn man reist ja nicht für das Gepäck, sondern mit ihm als dezentem Partner, weshalb ich eine Aktentasche oder Plastiktüte empfehle. Wer klug packt, ist mit sich und der Welt im Reinen.

Kai Richter, 30, ist Student und kommentierte unsere Frage per E-Mail

Es wäre angebracht, darüber nachzudenken, warum wir unser Gepäck nicht mehr tragen können. Kann es sein, dass wir im Urlaub nicht entspannen wollen und deshalb unnütze Dinge wie Laptops und Ähnliches mitschleppen? Wir sollten darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn wir unser Leben in diesen Rollkoffern buchstäblich hinter uns herziehen. Ich empfehle, wieder zu lernen, die eigene Last zu spüren. Zu spüren, wie schwer unser Leben wiegt. Denn nur dadurch können wir herausfinden, ob wir der Last gewachsen sind oder ob wir Überflüssiges einfach abwerfen sollten.