die woche in berlin
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Über einen neuen Namen für die M-Straße sollte nach dem Umbenennungsbeschluss der BVV Mitte offen diskutiert werden. Die Entscheidung der Linkspartei beim neuen Stadtentwicklungssenator überrascht. Und: Sawsan Cheblis Kandidatur gegen Michael Müller ist richtig.

Eine Folge gewachsener Sensibilität

Der Bezirk Mitte und die Umbenennung der M-Straße

Na bitte, geht doch! Am Donnerstagabend hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte – für viele überraschend – beschlossen, die M-Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umzubenennen. Genauer: Das Bezirksamt wird „ersucht“, nun „unverzüglich den Vorgang zur Umbenennung zu starten“, wie es im Antrag von Grünen und SPD heißt. Das kann dauern, wie man von der Diskussion um drei Straßennamen im Afrikanischen Viertel weiß. Aber der Anfang ist gemacht – und man ist versucht zu fragen: Warum eigentlich erst jetzt?

Immerhin haben Grüne, SPD und Linke eine Mehrheit in der BVV. Und die Erkenntnis, dass es sich bei der M-Straße um einen hochproblematischen, weil kolonialistischen und rassistischen Namen handelt, gibt es dort nicht erst seit gestern. Doch nach den langen und ermüdenden Debatten um die Weddinger Straßennamen Nachtigalplatz, Petersallee und Lüderitzstraße, an denen trotz ihres kolonialistischen Bezugs manche unverdrossen festhalten wollen, hatte man wohl ein wenig den Mut verloren. Tatsächlich hat auch die M-Straße immer noch Freunde: Erst am Donnerstag brachten ein AfDler und ein CDUler im Abgeordnetenhaus das alte Argument, der Name gehöre zur kulturellen Identität der Stadt, die neumodische „Umbenenneritis“ sei zu verurteilen.

Doch solche Positionen sind offenkundig nicht mehr mehrheitsfähig. Die Debatten und Demonstrationen der letzten Monate um Polizeigewalt und Alltagsrassimus auch im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung haben der Politik gezeigt, dass es in der Öffentlichkeit inzwischen eine große Sensibilität für die Zusammenhänge zwischen kolonialistischer Vergangenheit und rassistischer Gegenwart gibt. Und wenn sogar die BVG eine Haltestelle M-Straße inzwischen für Rufschädigung hält, ist es für alle links der Mitte wirklich Zeit zu handeln.

Manche werden einwenden, dass Grüne und SPD mit ihrem Antrag übers Ziel hinausgeschossen sind. Zum einen weil der Namensvorschlag Anton-Wilhelm-Amo mit der Vorgabe des Berliner Straßengesetzes bricht, Straßen vorrangig nach Frauen zu benennen. Mit einigem Recht werden sie fragen, ob es nicht auch eine Frau mit afrikanischen und Berliner Bezug gibt, die den M. ersetzen kann. Zum anderen bricht der Antrag mit der Idee, dass die interessierte Öffentlichkeit in die Namensdebatte eingeschaltet wird, wie es im Afrikanischen Viertel geschehen ist und wie es derzeit auch in anderen Bezirken geschieht, wo umstrittene Namen – etwa die Wissmannstraße in Neukölln – weg sollen.

Denn auch wenn Amo, der als einer der ersten Schwarzen Gelehrten Preußens gilt und selbst als Kind als „Hof-M.“ arbeiten musste, sicher ein würdiger Namensgeber ist: Der Name sollte nicht allein deshalb gesetzt sein, weil er von der afrodiasporischen und Schwarzen Community um das Bündnis Decolonize Berlin vorgeschlagen wurde. Ein offener Diskussionsprozess, so wie es die Linksfraktion in der BVV Mitte vorgeschlagen hatte, wäre sicher demokratischer – und würde am Ende vielleicht auch mehr Menschen überzeugen als eine Vorgabe „von oben“. Aber dazu fehlte den BezirkspolitikerInnen wohl doch der Mut. Susanne Memarnia

Ja!
Klar!
Darf sie!

SPD-Kandidaturen: Sawsan Chebli vs. Michael Müller

Ob sie „das darf“, diese Frage stellt sich Sawsan Chebli klugerweise und ganz zu Anfang gleich mal selbst in dem Brief, den sie an die „Lieben Genossinnen und Genossen“, die Mitglieder der Berliner SPD, richtet: „Darf man das? Antreten gegen den Regierenden Bürgermeister? Meinen Chef? Dem aktuellen Vorsitzenden der SPD Berlin?“ Und fügt dann leichthin hinzu, sie sei sich „übrigens sicher, dass Michael Müller hier auch mit sich gerungen hat“. Damit schon mal klar ist, wer hier moralisch am längeren Hebel sitzt – und das ist bestimmt nicht der Regierende, der als Mann die politische Immer-noch-Newcomerin, die Frau, um die Kandidatur in ihrem Wahlkreis für die Bundestagswahl 2021 bringen will.

Seit Chebli, Staatssekretärin in der Senatskanzlei unter Müller, am 13. August öffentlich bekräftigte, dass sie sich in Charlottenburg-Wilmersdorf nach wie vor als die SPD-Kandidatin 2021 sehe, diskutiert das landespolitische Berlin hingerissen – und reibt sich die Hände ob der medialen Schlammschlacht, die da noch folgen könnte. Wohlgemerkt: Chebli kündigte ihre Kandidatur nicht an, das hatte sie bereits vorher getan. Sie hielt sie lediglich aufrecht. Auch gegen ihren Chef Müller, der sich mit seiner Wunschkandidatur in seinem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg gegen Kevin Kühnert nicht durchsetzen wollte oder konnte.

Also: Ja, klar!, darf sie, sagen jetzt alle. Klar darf man als Frau im Jahr 2020 vor Gleichberechtigung gegen die Hinterzimmerkungelei und die Postenverteilerei der Chefs (kein Binnen-I an dieser Stelle) standhaft bleiben. Und, das nur nebenbei: Mal ganz abgesehen, ob da jetzt Frau oder Mann gegen den Klüngel antritt – allein wer dem demokratischen Prinzip verbunden ist, dürfte auch Cheblis Kandidatur verbunden sein.

Was aber auch stimmt: Chebli wird diese Reaktionen ihrerseits eingepreist haben. Sie weiß, dass man sich ziemlich unmöglich machen würde, wenn man sie auf ihren Platz weisen, ihr als Frau quasi den Mund verbieten würde. Auf wohlwollende Kommentare in der Hauptstadtpresse und in ihrer Twitterblase konnte sie zählen.

Das lässt ihren Move überhaupt nicht in schlechterem Licht dastehen. Aber ob man deshalb #teamchebli sein will, wie sie twittert, muss der/die GenossIn sich trotzdem selbst überlegen.

Inhaltlich bleibt sie in ihrem Brief an die SPD-Mitglieder vage. Am konkretesten wird sie noch beim Thema „Kampf gegen rechts“: Sie wolle „ein klares Bild davon, ob und wie weit rechtsextreme Gesinnung in Polizei, Bundeswehr und den Sicherheitsdiensten verbreitet ist“. Ansonsten ist sie für mehr Gleichstellung, die „Abschaffung der Armut“, die „Verbesserung der Bildungsqualität“ und natürlich auch für den Frieden.

Okay, ihr Wahlkampf – zunächst mal der in Charlottenburg-Wilmersdorf gegen Müller – hat gerade erst begonnen. Am 10. September soll der Kreisvorstand entscheiden, ob man zwecks Richtungsentscheidung für die KandidatInnen-Kür die Mitglieder befragen will, wie Chebli es gern hätte. Wie es auch kommt: Die Frauenkarte ist jetzt ausgespielt. So viel Gleichberechtigung muss sein.

Anna Klöpper

Besser fürs Land als für die Linkspartei?

Scheel wird Senator und Lompscher-Nachfolger

Es gab natürlich trotzdem Gemecker – er sei ja der Mann, der seiner ehemaligen Chefin als Staatssekretär treu gedient habe, und Weiteres in diesem Sinne. Aber unterm Strich gab es wenig negative Reaktionen auf die Personalie der Woche: Montagabend hatte die Linkspartei kundgetan, dass der bisherige Staatssekretär Sebastian Scheel an die Spitze der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung rücken und die Nachfolge von Katrin Lompscher antreten würde. Die war Anfang August wegen nicht an die Landeskasse weitergereichter und zudem nicht versteuerter Aufsichtsratsbezüge zurückgetreten.

Aus Sicht der Linkspartei eher konservativ gekleidet, angenehm im Ton, gut informiert, nicht auf Krawall oder Effekthascherei aus – Scheel ist von seiner Persönlichkeit her keiner, mit dem sich Investoren oder auch die Chefs der landeseigenen Wohnungsgesellschaften ungern an einen Tisch setzen dürften. Das ist gut fürs Land, weil aus einer guten Zusammenarbeit heraus auch das folgen könnte, was Berlin neben einem Corona-Impfstoff am meisten braucht: neue Wohnungen, um den Preisdruck zu mindern.

Die Frage ist bloß, ob das, was gut für das ganze Land sein könnte, auch gut für die Linkspartei ist. Denn die erste Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses am Donnerstag hat mehr oder minder das Wahlkampfjahr bis zur Abstimmung im September 2021 eingeläutet. Ein extrovertierter, marktschreierischer Typ kann in solchen Zeiten für seine Partei mehr punkten als einer, der bedächtig auftritt und ankündigt, bestimmte Dinge erst mal in seiner Verwaltung zu prüfen.

Genau das hat Scheel nämlich bei seiner Vorstellung bei einem der wichtigsten, vielleicht sogar dem wichtigsten Projekt der Linkspartei getan. Gefragt nach seiner Haltung zum mit Milliardenausgaben für den Landeshaushalt verbundenen Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen, sagte Scheel: Seine Verwaltung werde demnächst eine Stellungnahme erarbeiten – „dabei wird sich die Meinung bilden“. Das ist an sich eine sehr sympathische Herangehensweise, aber keine, mit der sich Wähler im linken Lager gewinnen lassen dürften.

Landesparteichefin Katina Schubert, die ihn vorstellte, sah sich genötigt zu ergänzen: „Die Haltung der Partei ist klar.“ Und wie: Nicht nur dass es einen Landesparteitagsbeschluss dazu gibt, das Begehren zu unterstützen. Nein, die Linkspartei – die das als Regierungspartner auch im Senat durchzusetzen versuchen könnte – hat auch mit Plakaten für das Volksbegehren geworben. Der Slogan: „Berlin hat Eigenbedarf!“ Kurzum: Die Not der Linkspartei bei der Nachfolgesuche für Lompscher muss schon erheblich gewesen sein, dass sie nun diesen nüchtern abwägenden Mann zum Senator macht. Für die Stadt ist er mutmaßlich alles andere als eine schlechte Wahl – ob die Linkspartei auch von ihm profitieren kann, muss sich erst noch zeigen. Stefan Alberti

Die Not der Linkspartei bei der Nachfolge­suche für Katrin Lompscher muss schon erheblich gewesen sein, dass sie diesen nüchtern abwägenden Mann zum Senator macht

Stefan Alberti über den neuen Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel