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: Als Bettvorleger gelandet

Die Initiative für eine Enteignung renditegetriebener Immobilienkonzerne in Berlin startete vielversprechend. Jetzt droht die Kampagne aufzuweichen

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Rainer Balcerowiak

lebt als freier Journalist, Blogger und Buchautor in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Aufstehen – und wohin geht’s?“ (Das Neue Berlin, 2018).

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen hat ein wichtiges Etappenziel fast erreicht. Nach einer über ein Jahr währenden „Prüfung“ gab die damit betraute Senatsinnenverwaltung Anfang August grünes Licht für das angestrebte Volksbegehren, bei dem knapp 180.000 gültige Unterstützerunterschriften binnen vier Monaten gesammelt werden müssen. Zwar führt der überraschende Rücktritt von Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) zu einer weiteren Verzögerung, da ihr Ressort vor einem entsprechenden Senatsbeschluss zur Zulassung noch eine Stellungnahme abgeben muss. Doch den Zeitplan wird das wohl nicht mehr gefährden. Nach Ablauf weiterer formaler Fristen könnte die Unterschriftensammlung frühestens im November und spätestens Anfang Februar 2021 beginnen. Verläuft die erfolgreich, stünde einem Volks­entscheid im nächsten Herbst nichts mehr entgegen.

Allerdings hat die Initiative nach der langen Zeit in der Warteschleife einiges an Strahlkraft verloren. Als sie sich im April 2018 erstmals mit ihrer Enteignungsforderung in der Öffentlichkeit präsentierte, sorgte das für Euphorie auf der einen und für Schnappatmung auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Die bürgerlichen Oppositionsparteien CDU und FDP reagierten mit Empörung und Kalter-Kriegs-Rhetorik, von „DDR 2.0“ war die Rede, beschworen wurde die Rückkehr zu einer „sozialistischen Diktatur“. Auch Wirtschaftsverbände prophezeiten den drohenden Kollaps der gesamten Berliner Wirtschaft, wenn derartige „sozialistische Experimente“ auf die Tagesordnung kämen.

Angesichts rasant steigender Mieten und der ruppigen Verdrängungspraxis der großen Immobilienkonzerne hatte die Initiative jedoch einen Nerv getroffen. Erste Umfragen kamen zu dem Ergebnis, dass die Forderung von einer Mehrheit der Berliner Bevölkerung unterstützt wurde. Die erste Stufe des Volksbegehrens wurde im Juni 2019 mit fast 60.000 statt der benötigten 20.000 gültigen Unterschriften nahezu mühelos überwunden.

Doch mittlerweile dominieren andere Fragen den politischen Diskurs in der Hauptstadt. Im Mittelpunkt steht dabei der Mietendeckel, den die rot-rot-grüne Regierung im vergangenen Jahr beschlossen hatte, um Bestandsmieten für fünf Jahre einzufrieren und für Neuvermietungen Miet­obergrenzen einzuführen. Voraussichtlich im kommenden Jahr wird das Bundesverfassungsgericht über den Bestand des Mietendeckelgesetzes entscheiden, nachdem CDU und FDP entsprechende Kontrollklagen eingereicht haben. Und natürlich beherrschen derzeit auch die Coronapandemie und ihre Folgen für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt die Auseinandersetzung. Das Thema Eigentumsverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und deren Regulierung durch Vergesellschaftung ist dadurch aber keineswegs obsolet geworden, zumal Artikel 15 des Grundgesetzes einen derartigen Eingriff in die Eigentumsrechte ausdrücklich vorsieht.

Auf einhellige Unterstützung der Berliner Regierung kann die Initiative dabei nicht bauen. Die SPD hat sich nach einer kurzen Phase des Lavierens im Oktober 2019 mit einem Parteitagsbeschluss auf die Ablehnung des Volksbegehrens festgelegt. Auch die Grünen halten die angestrebte Enteignung der Konzerne keineswegs für erstrebenswert, sondern sehen die Initiative eher als „Weckruf“ für die Branche, um gemeinsam andere Lösungen zu finden. Selbst bei den Linken gab es bereits erste Absetzbewegungen. So brachte Lompscher weitreichende, verpflichtende Kooperationsvereinbarungen zum Mieterschutz mit den Konzernen ins Spiel, die eine Enteignung quasi überflüssig machen würden.

CDU und FDP beschworen bereits die Rückkehr zu einer „sozialistischen Diktatur“

Bei Deutsche Wohnen & Co enteignen hat diese politische Konstellation, aber vor allem die Zermürbungstaktik des Senats bei der „Prüfung“ deutliche Spuren hinterlassen. In dem von der Innenverwaltung quasi diktierten Beschlusstext für das Volksbegehren wird der Senat nur noch aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung erforderlich sind.“ Die ursprüngliche Forderung an den Senat, ein Gesetz für die Enteignung auf den Weg zu bringen, wurde komplett gestrichen. Für die „Maßnahmen“ gibt es weder eine Definition noch eine Frist. Es werden auch keine im Visier stehenden Unternehmen, wie etwas die Deutsche Wohnen oder Vonovia, mehr benannt. Vielmehr ist allgemein von Wohnungsbeständen die Rede, die „vergesellschaftungsreif“ seien.

Das furios gestartete Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienkonzerne ist geschrumpft zu einer rechtlich unverbindlichen Aufforderung, der Senat möge irgendwann irgendetwas unternehmen. Politisch ist das fatal, denn der erstmals in dieser Breite und Schärfe geführten Auseinandersetzung über die Macht privater, renditeteorientierter Eigentümer in einem zentralen Sektor der sozialen Daseinsvorsorge wurde damit jegliche Zuspitzung genommen. Einige Protagonisten von Deutsche Wohnen & Co enteignen klammern sich jetzt an die Hoffnung, die Linke könne auf Basis eines erfolgreichen Volksentscheids ein Enteignungsgesetz zur unverhandelbaren Bedingung für die Neuauflage der rot-rot-grünen Koalition nach der Abgeordnetenhauswahl im September 2021 machen. Das ist angesichts aller Erfahrungen mit dieser Partei bei Regierungsbildungen, nicht nur in Berlin, bestenfalls naiv. Und die Vorstellung, dass sich unbeugsame Linke trotzig den beiden Enteignungsgegnerinnen Franziska Giffey und Ramona Pop entgegenstellen, die dann voraussichtlich als Frontfrauen von SPD und Grünen in den Koalitionsverhandlungen agieren werden, hat schon was Erheiterndes. Die Enteignungskampagne war eine gute, spannende Idee. Doch jetzt ist sie auf dem Weg, sich selbst zu erledigen.