Das Ende der Gastfreundschaft

Seit dem Van-Gogh-Mord hat die Skepsis gegenüber Muslimen in den Niederlanden noch zugenommen. Davon profitieren die Erben von Pim Fortuyn

AUS AMSTERDAM CLARA ROSENBACH

In einem großen Raum mit bunten Wänden sitzt ein 30 Jahre alter Türke, der seinen Namen lieber nicht nennen will, vor seinem Computer-Bildschirm. Er versucht, dem Lernprogramm die richtigen Antworten zu geben – in Niederländisch. Denn die Sprache muss der Asylbewerber, der wegen politischer Probleme aus der Türkei floh, lernen. Sonst darf er nicht in den Niederlanden bleiben. „Ich fühle mich wohl hier, weil ich weiß, was mich in der Türkei erwarten würde, aber die Menschen begegnen mir mit viel Skepsis“, sagt er.

Die Muslime in den Niederlanden hadern mit ihrem Image – seit den Terroranschlägen in New York, aber vor allem seit dem Mord an Theo van Gogh im November letzten Jahres. Denn seitdem ist die bisher so hoch gelobte niederländische Gastfreundschaft verloren gegangen, und die ersten Opfer dieser Klimaveränderung sind die Muslime. Kurz nach van Goghs Ermordung eskalierten die Feindseligkeiten gegen sie in einer beispiellosen Serie von Brandanschlägen auf Moscheen und Koranschulen. Aber auch Kirchen wurden das Ziel von Gewalt. Insgesamt registrierte die Amsterdamer Anne-Frank-Stiftung im November 2004 174 rassistische und rechtsextreme Gewalttaten, in 60 Prozent der Fälle waren Muslime und muslimische Einrichtungen Opfer.

Staatlich verordnete Toleranz

Bis vor einigen Jahren war Toleranz im Polderland sozusagen staatlich verordnet. Die Bezeichnungen „Ausländer“ oder „Gastarbeiter“ waren quasi verboten. Politisch korrekt war ausschließlich „Allochthone“ – griechisch für „aus einem anderen Land“. Die Einwanderungswellen nahmen die Niederländer hin – wie ein Naturereignis. Und sie entwickelten ein vorbildliches Integrationssystem für die Neuankömmlinge. Ihre Devise: Die Einwanderer müssen sich integrieren, und die niederländische Gesellschaft muss ihnen dies ermöglichen.

Am wichtigsten dabei ist bis heute das Erlernen der niederländischen Sprache und Kultur. Im Untersuchungsbericht einer Parlamentskommission aus dem vergangenen Jahr heißt es, die Sprache sei der Schlüssel zur Integration. Deshalb bekommen alle Einwanderer kostenlose Sprachkurse. Nur wenn sie zu oft fehlen, müssen sie selbst bezahlen. In riesigen Schulen wie dem Mondriaan-Zentrum in Den Haag lernen sie – abgestimmt auf ihre Arbeitszeiten – Niederländisch. Ehrenamtliche Mitarbeiter unternehmen Auflüge ins Kino oder ans Meer mit den Einwanderern. Zusätzlich hat die Regierung Programme aufgelegt, um Migranten besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Die Einwanderer gehörten lange ganz selbstverständlich zur niederländischen Gesellschaft. In manchen Städten leben fast 50 Prozent Nicht-Niederländer. Allein in Amsterdam wohnen Menschen aus 170 Ländern zusammen. Doch diese Selbstverständlichkeit ist in der Zwischenzeit verschwunden.

Auf Fortuyn folgt Wilders

Schon vor drei Jahren hatte der rechtspopulistische Politiker Pim Fortuyn großen Erfolg mit seiner Forderung, die Einwanderung zu begrenzen. Kurzzeitig regierte er sogar als Koalitionspartner von Premierminister Jan Peter Balkenende. Nach seinem Tod – er wurde von einem fanatischen Tierschützer erschossen – verlor seine Liste zwar an Bedeutung, aber Fortuyn, übrigens ein Freund von van Gogh, hat mittlerweile zahlreiche Nachfolger bekommen. Der Ex-Liberale Geert Wilders benutzt ähnliche Schlagworte wie Fortuyn, seine Liste hätte laut Umfragen kurz nach der Ermordung van Goghs knapp 30 Sitze erhalten, hätten zu diesem Zeitpunkt Wahlen stattgefunden. Zum Vergleich: Balkenendes regierende Christdemokraten verfügen zurzeit über 44 Sitze im Parlament. Wilders fordert einen totalen Migrationsstopp und die Abschaffung der Entwicklungshilfe.

Wie groß das Potenzial für solche Forderungen ist, zeigen auch die Gründungen von drei weiteren rechten Parteien: Forza! Nederland, Ons Nederland und Nieuw Rechts. Während Ons Nederland lediglich eine strengere Asylpolitik durchsetzen will, strebt Nieuw-Rechts-Parteigründer Michiel Smit gar an, eine Meldestelle aufzubauen, der sich Niederländer anvertrauen können, die Opfer einer Diskriminierung von Allochthonen geworden sind.

Sprachprüfung im Heimatland

Die Niederländer haben Angst vor der Gefahr im eigenen Land und suchen Zuflucht bei Wilders und Co. Die Sehnsucht nach strengeren Regeln ist mittlerweile auch bei der Regierung angekommen. Die Integrationsministerin Rita Verdonk arbeitet gerade an neuen Gesetzen. Sie will eine Einbürgerungsprüfung einführen, stößt aber noch auf rechtliche Probleme. Außerdem müssen Menschen, die in die Niederlande einwandern wollen, in Zukunft schon eine Sprachprüfung in ihrem Heimatland ablegen. Ein Computer soll die Kenntnisse überprüfen. Zurzeit wird noch an der Technik gearbeitet.

Verdonk will möglichst bald die strengeren Regeln einführen, die sich nach einer Umfrage der Tageszeitung De Telegraaf über 70 Prozent der Niederländer wünschen. „Wer hier leben will, muss sich anpassen“, so die Ministerin, die kürzlich auch drei Imame des Landes verwiesen hat. Ab 2008 sollen überhaupt keine Imame mehr einreisen dürfen. Stattdessen sollen sie an der Uni Amsterdam ausgebildet werden.

Van Gogh und Fortuyn werden unterdessen als Volkshelden gefeiert. Zum Prozess gegen Mohammed Bouyeri kamen einige Fans und Freunde der beiden Männer mit bedruckten T-Shirts. Darauf abgebildet: die lächelnden Gesichter von van Gogh und Fortuyn mit der Aufschrift „Unsere Helden des freien Worts“. In dem Amsterdamer Stadtteil, in dem Theo van Gogh gewohnt hat, soll nun sogar ein Denkmal für den Filmemacher errichtet werden. Zunächst hatte die Stadt das abgelehnt, um nicht für noch mehr Unruhe zu sorgen. Aber die Familie des Toten und die Bewohner hatten immer wieder darauf gedrängt. Die endgültige Entscheidung soll in den kommenden Wochen fallen.