„Ich habe kein einziges Gemälde gemalt“

Ali Yass

27, studiert im zweiten Semester Bildende Kunst an der Universität der Künste. Vorher hat er schon in Jordanien Kunst studiert.

Täglich neun Stunden im Atelier zu stehen, das war vor Corona normal für mich. Manchmal bin ich sogar über Nacht geblieben und habe ohne Pause an meinen Werken gearbeitet. Als im März dann die E-Mail kam, dass alle Räume der Universität der Künste geschossen werden müssen, war das ein krasser Einschnitt. Ich musste all meine Zeichenpapiere, Bleistifte und die Kalligraphie-Tinte aus dem Atelier räumen und mit nach Hause nehmen.


Das war aber gar nicht so leicht: Mein Zimmer ist nur sechs Quadratmeter groß. Während der Wochen zu Hause habe ich darum kein einziges Gemälde gemalt. Onlineseminare hatte ich in meinem Studium der Bildenden Künste nur ein einziges, die übrige Zeit hätte ich schließlich in den Werkstätten verbringen sollen. Zum Glück wohne ich mit 55 Personen in einem Hausprojekt, einsam war ich also nie. 



Im Lockdown hatte ich endlich Zeit, Bücher zu lesen und über die Welt nachzudenken. Mit dem Ausbruch der Pandemie konnte ich beispielsweise beobachten, wie die Situation im Irak, in Hongkong oder Chile genutzt wurde, um die Unterdrückung weiter auszubauen oder von der fehlenden sozialen Gerechtigkeit abzulenken.

Eine wichtige Erkenntnis im Lockdown: Wir müssen unsere Beziehung zum Internet neu definieren. Dass sich viel im Netz abgespielt hat, war nicht nur schlecht. So hat sich im Falle der Black-Lives-Matter-Proteste eine transnationale Solidarität entwickelt. Auch ich habe mich mit der Welt und ihren gesellschaftlichen Kämpfen verbundener gefühlt als sonst. Das liegt sicherlich auch an gemeinsamen Erfahrungen, die wir gemacht haben: die eingeschränkte Reisefreiheit oder finanzielle Unsicherheiten – und vor allem, dass das Virus tötet. Wie auch Grenzen oder Rassismus.



Nach knapp drei Monaten wurden endlich unsere Ateliers wieder geöffnet, allerdings mit zeitlicher Begrenzung. Ich habe mich sehr darüber gefreut, ich konnte endlich wieder malen. Das Thema Widerstand, das ich schon vor Corona in meinen Zeichnungen, Ölgemälden und Experimentalfilmen verarbeitet habe, ist durch die Eindrücke im Lockdown noch viel klarer in meinen Fokus gerückt. 



Diese Woche hatten wir dann unsere Jahresausstellung, das ist eigentlich ein großes Event, zu dem die ganze Stadt vorbeikommt. Dieses Jahr war das anders: Wir sind der erste Jahrgang, in dem der Rundgang nur virtuell stattfindet. Meinen Atelierraum 136 können Gäste der Ausstellung nur über die UdK-Website betreten.

Zwar kann man sich meine Arbeiten immerhin digital anschauen, einen realen Besuch kann das aber natürlich nicht ersetzen. Besonders bei der Malerei geht es schließlich auch immer um die Erfahrung zwischen dem Betrachter und dem Werk. Das ins Digitale umzusetzen, ist super schwierig. Bei allen Vorteilen, die das Internet hat, da fehlt einfach die menschliche Verbindung.

Protokoll: Jannis Hartmann