Mehr Staub als Seide

In seiner Serie „Sinomoscene“ dokumentiert der italienische Fotograf Davide Monteleone Auswirkungen der Neuen Seidenstraße, durch die sich die Volksrepublik China zunehmend globalen Einfluss sichert. Eine fotografische Reise

Die Sphinx schaut zu: Ein Schnellzug fährt an der Baustelle eines Freizeitparks in Lanzhou, Nordchina vorbei

Die Geschichte der Seidenstraße war immer eine des Austauschs. Ein Austausch zwischen Ost und West, Asien und Europa. Nicht nur Waren wurden dort – schon lange, bevor diese Route im 19. Jahrhundert ihren Namen bekam – von A über B nach C und wieder zurück transportiert. Auch Religion, Kunst, Philosophie und, ja, Krankheiten wie die Pest, gelangten so von einem Kontinent zum anderen. Und zwischendurch Austausch, immer wieder: ein Wort für ein Wort, ein Stück Stoff für ein Stück Metall, Arbeit für Luxus.

Turpan, in der Autonomen Region Xinjiang im Westen Chinas, war bereits Teil der historischen Seidenstraße Fotos: Davide Monteleone/laif

Die Erzählungen von dieser Handelsroute haben oft etwas Romantisches: Bilder von schunkelnden Kamelkarawanen in Wüstenlandschaften und Oasen, die eine europäische Sehnsucht nach Exotik bedienen. Und immer das Versprechen: Reichtum für alle.

Doch selbst die florierendste Handelsroute macht nie alle reich und auch nicht alle gleicher. Einer hat Wort und Schrift, um Geschichte(n) zu schreiben, eine andere kann vor Erschöpfung kaum von ihrem Tag erzählen. Profit ist selten gleich verteilt, auch wenn „Win-win“ eine hervorragende Marketingstrategie ist, sowohl für die alte als auch für die neue Seidenstraße.

Auf einem Markt im ostchinesischen Yiwu. Von hier fahren Züge nach Madrid, London, Prag und Teheran

Vielleicht hat die neue Seidenstraße, die den viel weniger romantischen Namen „Belt and Road Initiative“ (BRI) trägt, genau das mit ihrer Vorgängerin gemeinsam. Die BRI ist das Prestigeprojekt der chinesischen Staatsführung unter Präsident Xi Jinping. Sie soll der Weltmacht nicht nur dabei helfen, seine Märkte zu diversifzieren – die neue Seidenstraße ist auch ein erneuertes, geopolitisches Versprechen: ein chinesischer Traum, während der amerikanische humpelt.

Schlafende Kräne: Im Nordwesten Chinas werden eine Zugstrecke und eine Autobahn umgeleitet

Seit über zehn Jahren gräbt sich die Volksrepublik so über eine Landroute im Norden und eine Seeroute im Süden in drei Kontinente hinein: Kräne, Bagger, Schlagbohrer. Verträge, Kredite, Geld. Häfen, Schnellzugtrassen, Autobahnen – schon 80.000 Kilometer, zweimal um die Erde. Die Nordroute orientiert sich dabei an den Wegen der antiken Seidenstraße; sie soll Transportzeiten von China nach Europa verkürzen und ist für China zugleich geopolitisch stabiler als der Seeweg, der durch das immer wieder umkämpfte Südchinesische Meer führt. Bis 2049 soll das Megaprojekt abgeschlossen sein.

Der Aralsee in Kasachstan trocknet aus. Doch erste Wiederbelebungsversuche machen Hoffnung

Baumwollernte in Turkistan: Die Region ist wichtiger Umschlagsplatz für den Warenverkehr zwischen China, Zentralasien und dem Iran

In seiner Arbeit „Sinomoscene“, mit der er für den hochdotierten Leica Oskar Barnack Award (LOBA) nominiert ist, dokumentiert der italienische Fotograf Davide Monteleone, geboren 1974, die Auswirkungen der BRI. Seine Bilder zeigen, wie auf der wohl größten Baustelle der Welt längst alles miteinander verbunden ist: von China über Kasachstan und Äthiopien bis nach Italien. Austausch können die Betrachtenden auf den Fotos oft nur erahnen. Offensichtlicher ist die Tatsache, dass das chinesische Zeitalter längst da ist. Und dank moderner Informationswege kann die neue Seidenstraße nicht verstecken: Da ist deutlich mehr Staub als Seide. Lin Hierse