crime scene: Die anständige Polizistin
Michael Connelly: „Late Show. Renée Ballard – ihr erster Fall“. Aus dem Englischen von Sepp Leeb. Kampa Verlag, Zürich 2020. 432 S., 19,90 Euro
Polizeiromane sind normalerweise eher so das Ding der skandinavischen KrimiautorInnen. In amerikanischen Thrillern oder Krimis werden private Ermittlerpersonen als HeldInnen bevorzugt, private eyes, die mit oft unkonventionellen Methoden und anarchistischer Energie den korrupten oder/und überforderten staatlichen Ordnungskräften zeigen, wo der Hammer hängt. Eine gewichtige Ausnahme von dieser Regel bilden die Romane von Michael Connelly.
Bekannt geworden vor allem mit seiner langjährigen Reihe über den L.A.P.D.-Detective Harry Bosch (die als Inspiration für die Amazon-Erfolgsserie „Bosch“ diente), ist Connelly zum einen ein emsiger Vielschreiber, dessen massenweise Produktion viel hochwertige, aber dazwischen auch etwas zu schnell gestrickte Genreware bereithält. Zum anderen ist Connelly einer, der nicht nur sein Handwerk glänzend beherrscht, sondern auch seinen Stoff. Bevor er Romanautor wurde, verdiente er nämlich als Polizeireporter seine Brötchen. Michael Connelly kennt, worüber er schreibt.
Das macht sich auch in seiner neuen Reihe bemerkbar, deren erster Band dieses Jahr in deutscher Übersetzung erschienen ist (das Original kam 2017 heraus). Wie alle Romane Connellys spielt auch „Late Show“ in Los Angeles. Das Neue daran: Die Hauptfigur ist eine Frau. Auch Renée Ballard ist, natürlich, Polizistin, Detective beim Los Angeles Police Department. Sie füllt ihren Job mit Leib und Seele aus, auch und vielleicht gerade seit sie der Nachtschicht zugeteilt wurde, im Insider-Jargon „Late Show“ genannt. Bei den anderen Detectives ist diese Schicht unbeliebt, und auch Renée ist erst hier gelandet, nachdem sie sich über einen Vorgesetzten wegen sexueller Belästigung beschwert hatte.
Die Detectives der Nachtschicht ermitteln nicht dauerhaft an bestimmten Fällen, sondern geben nach Ablauf jeder Schicht alles an die KollegInnen ab. Doch in jener Nachtschicht, mit der „Late Show“ beginnt, kommen die Diensthabenden mit zwei Fällen in Berührung, die Renée nicht loslassen: Eine Transsexuelle wird halb totgeschlagen auf einem Parkplatz gefunden. Und, noch weitaus spektakulärer: Bei einer Schießerei in einem Nachtclub gibt es mehrere Tote. Alle verfügbaren Kriminalbeamten werden zusammengetrommelt, die „Late Show“ ist also bald wieder raus aus dem Fall. Doch Renée, so stur wie scharfsinnig, verfolgt einen eigenen Ermittlungsansatz. In ihrer Freizeit folgt sie Spuren, die von den Kollegen vernachlässigt wurden, und begibt sich dabei in große persönliche Gefahr.
Dieser Spannungsplot ist sauber gebaut und zieht einen zuverlässig mit, aber darin liegt nicht der eigentliche Mehrwert des Romans. Connelly, der die Details der Polizeiarbeit mit einer Akribie zu schildern weiß, die an Liebe grenzt, betreibt auch die Charakterisierung seiner Hauptfigur mit angenehmer Sachlichkeit.
Obwohl aus Renées Perspektive erzählt, gibt der Text nur stückchenweise Informationen über die Protagonistin frei, aus denen sich das Gesamtbild nach und nach erschließt. Die Zurückhaltung und Selbstbeherrschung, die diese durch und durch integre Ermittlerin unter anderem kennzeichnen, werden damit implizit mit transportiert.
Dass der Grund für Renées etwas prekäre Stellung im Polizeiapparat eigentlich ein unter den Tisch gekehrter #MeToo-Fall ist, steht zwar die ganze Zeit im Raum, wird aber nur nebenbei angesprochen – das dafür immer wieder. Renée, so tough sie ist, findet zu wenig Unterstützung unter den Kollegen und steckt das wohl doch nicht einfach so weg.
Dieses Sich-Herantasten an die Heldin, dieses beiläufige Freigeben von Informationen, die mehr implizit in der Erzählung stecken als dass sie explizit behauptet würden, bewirkt, dass diese coole, integer ihren Dienst versehende Ermittlerin als Charakter sehr glaubwürdig erscheint. Renée Ballard ist keine Superhelden-Comicfigur. Sie ist einfach eine anständige Polizistin.
Da hat Michael Connelly tatsächlich einen reellen Beitrag zum US-amerikanischen Feminismusdiskurs geliefert (vom Polizeidiskurs mal ganz abgesehen), ohne den Trend nur billig zu bedienen. Respekt. Katharina Granzin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen