Chemie-Keule rettet Freizeitparadies

Seit Jahren wird der Münsteraner Aasee von giftigen Blaualgen besiedelt. Mit einem Pilotprojekt will die Stadt ihren See nun entgiften. Der erste Versuch zeigt bereits eine positive Wirkung. Aber wer hat die Belastung überhaupt zu verantworten?

„Das Personal wusste, wo der Dreck hingeht, hat aber trotzdem weiter gemacht“

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Wer hier schwimmt, ist lebensmüde. Kaum 20 Zentimeter beträgt die Sichttiefe des Münsteraner Aasees – und wehe, man verschluckt zu viel Wasser! Dann kommt einem die braune Suppe im wahrsten Wortsinne wieder hoch. Wobei Übelkeit und Erbrechen noch zu den harmloseren Folgen zählen. Laut Lutz Hirschmann vom Umweltamt der Stadt können sich die im Wasser enthaltenen Phosphate in Leber und Nieren absetzen – und dann wird‘s gefährlich.

Der Aasee: Im Internet preist ihn die Stadt Münster als „Freizeit- und Sportparadies für die Münsteraner und ihre Gäste“. Ein Paradies, für dessen Gleichgewicht die Stadt seit Jahren schon kämpft. Bisher ohne Erfolg. Chemikalien sollen das Wasser nun entgiften: In den vergangenen Wochen tuckerte immer wieder ein Boot über den See und ließ ein so genanntes Fällungsmittel ins Wasser, das „unverdünnt Kleidungsstücke wegätzt“, wie Hirschmann sagt. Klingt drastisch, ist nach mehreren erfolglosen Versuchen, den See von unzähligen Blaualgen zu befreien, aber notwendig geworden. Die Chemikalie entzieht den Blaualgen die Nahrungsgrundlage, sie sterben ab, sinken zu Boden.

Nicht alle Blaualgen sind giftig. Im Aasee leben aber gerade jene speziellen Unterarten, die Giftstoffe ausbilden. Woran das liegt? Nach Hirschmanns Überzeugung an der Landwirtschaft. Felder würden gedüngt, Regen trage die Gülle ab, die dann über die Aa in den See gelange und schädliche Phosphate freisetze. Das ist die eine These.

Die andere lautet: Der See ist voll mit Fäkalien aus dem benachbarten Allwetterzoo. Doch Hirschmann winkt ab: „Vor 15 Jahren war das so, aber heute gelangt kein Tropfen mehr aus den Gehegen in den See.“ Auch im Zoo wiegelt man bei diesem Thema schnell ab: „Leute, die behaupten, wir würden Fäkalien in den See leiten, sind schlecht informiert“, sagt Dirk Heese, technischer Leiter im Allwetterzoo. Seit der Eröffnung in den 1970er Jahren habe der Zoo ein strikt getrenntes Schmutz- und Regenwasser-System. Und das Regenwasser, das vom Zoo dem Aasee zugeführt werde, sei von wesentlich besser Qualität als das Seewasser. „Das ist also eine Bereicherung“, sagt Heese.

Regina Schubert hat vor zehn Jahren ein Praktikum im Zoo gemacht. Sie weiß, wie früher der Dreck aus den Gehegen entsorgt wurde: mit dem Schlauch, immer in den See. „Es gab keine andere Möglichkeit“, sagt Schubert. Das Personal habe gewusst, wo der Dreck hingeht – aber trotzdem weiter gemacht. Inzwischen habe sich das allerdings geändert: „Ich denke auch, dass die Hauptverursacher für die Verschmutzung des Sees die Landwirte sind“, sagt Schubert.

Die junge Frau ist heute beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) beschäftigt. Sie kennt also den See und die Probleme, die in ihm ranken. Auch weil sie ganz in der Nähe wohnt. Da sieht man schon mal einen Gülletanker, der sich seiner Fracht in den See entledigt. Oder man hält sich die Nase zu, wenn das Wasser mal wieder zum Himmel stinkt. Sogar einen Weg habe man sperren müssen, erzählt Schubert. Am Ufer lagen getrocknete Algen. Gefahr genug.

Doch das Fällungsmittel zeigt erste Erfolge. Zunächst wurde es in den See eingelassen, seit zwei Wochen fließt es ein paar Kilometer oberhalb des Sees in die Aa. Bis Ende September wird das Fällungsmittel voraussichtlich noch eingelassen. „Das Mittel schlägt sehr gut an“, sagt Umweltdezernent Hirschmann gestern. Die Blaualgen seien so gut wie verschwunden. Dummerweise hat aber eine andere, nicht giftige Algenart die Blaualgen-Lücke gleich wieder besiedelt. An der Sichttiefe hat sich demnach nicht viel verändert. „Da hatte ich doch etwas mehr erwartet“, sagt Hirschmann.

Dennoch: Die Zwischenbilanz ist zufriedenstellend. Nun heißt es: abwarten, wie sich die Lage entwickelt. Blaualgen sind unberechenbar, sie vermehren sich rasend. Wie das Fällungsmittel letztlich wirkt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Zwar gibt es Erfahrungswerte für stehende Gewässer. Bei Seen hingegen, die durch einen Fluss ständig neues Wasser aufnehmen, ist die Wirkung bislang wenig erforscht.

Werner Mathys vom Institut für Hygiene der Universität Münster fährt jeden Tag zum Aasee und nimmt Proben. Das Resultat sei besser als erwartet, sagt der Wissenschaftler, der das Pilotprojekt betreut. Bei der Sichttiefe müsse man allerdings noch Geduld haben. Und während Umweltdezernent Hirschmann eher vorsichtig ist, wenn man ihn fragt, wann man im Aasee wieder baden könne, sagt Mathys: „Das ist auf jeden Fall unsere Zukunftsvision.“ Wenn man am Ball bleibe, sei es durchaus denkbar, dass der Aasee wieder zum Badegewässser werde.

Im Herbst ist die erste Phase beendet. Dann muss sich die Stadt Münster entscheiden, ob es weiter geht. „Das Projekt muss auf unbegrenzte Zeit fortgesetzt werden“, sagt Mathys. Was auch eine Kostenfrage ist. Die erste Phase hat rund 120.000 Euro gekostet. Eine stattliche Summe. Aber immerhin rettet man damit unter Umständen ein „Paradies“. Da erscheinen 120.000 Euro doch geradezu mickrig.