piwik no script img

Der HausbesuchEine Heimat im Atelier

Als Hyun-Sook Song geboren wurde, tobte der Koreakrieg. Ihre Eltern waren Reisbauern in einem südkoreanischen Dorf. Heute lebt sie in Hamburg.

Hyun Sook Song in ihrem Garten Foto: Miguel Ferraz Araujo

Wie Tausende andere südkoreanische Frauen kam Hyun-Sook Song in den 70er Jahren als Gastarbeiterin nach Westdeutschland, um als Krankenschwester zu arbeiten. Dann nahm ihr Lebensweg eine andere Spur. Als Künstlerin stellt sie ihre Werke heute auf der ganzen Welt aus.

Draußen: Direkt vor der Haustür beginnt der Wald. Hyun-Sook Song lebt im Süden Hamburgs, am Fuße der Schwarzen Berge. Die 68-Jährige arbeitet jeden Vormittag in ihrem Garten, wo alles wächst, was sie und ihr Partner zum Leben brauchen: viel Salat, Porree und Kürbis sowie Brombeeren, koreanische Kräuter und wilde Sesamblätter. Breitbeinig steht Song mitten in ihren Gemüsebeeten – Blumen gibt es hier kaum. Ein Maulbeerbaum erinnert sie an die Seidenraupenzucht ihrer Kindheit. Und das Quaken der Frösche im Teich weckt in ihr Erinnerungen an die endlosen Reisfelder in Südkorea.

Drinnen: In dem holzverkleideten Atelier der Künstlerin riecht es angenehm nach Tempera, einer Verbindung aus Eiern, Leinöl, Dammarfirnis und Wasser. Dammar ist ein Laubbaumharz. Auf den Tischen liegen ausgewaschene Pinsel und kleine Töpfe mit Farbpigmenten. Der Boden des hohen Raumes ist mit gebrauchten Leinwänden ausgelegt, die Song als „nicht gelungen“ bezeichnet. Früher habe sie sich über das Misslungene geärgert, „aber jetzt sage ich mir, das war eine Übung, versuche es noch einmal“. Wenn Song sich körperlich stark genug fühlt, verschwindet sie am frühen Abend in ihrem Atelier und arbeitet dort bis ein oder zwei Uhr morgens.

Bauerntochter: Song kam 1951 in der Pflanzenapotheke ihrer Großeltern zur Welt. Ihre Mutter hatte in dem Geschäft der Eltern Zuflucht gesucht – mitten im Koreakrieg, der bis 1953 andauerte. Der Vater, Kriegsverweigerer, versteckte sich in den Bergen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Erde: Aufgewachsen ist Song im südkoreanischen Bergdorf Mu-Worli in der Provinz Süd-Jeolla. Ihre Eltern waren Reisbauern. Vielleicht ist es Song deshalb so wichtig, „dass man die Erde gesund hält“. Einer ihrer Brüder bestellt noch heute die Reisfelder in ihrem Herkunftsdorf.

Geister: Als Kind war Song mager und oft krank. Häufig träumte sie vom Krieg. Die Ferien verbrachte sie bei den Großeltern, die sie mit Pflanzenmedikamenten stärkten. „Das sind für mich gute Kindheitserinnerungen. Die hatten dort elektrisches Licht, was es in meinem Dorf nicht gab, das war für mich immer interessant.“ Im Vergleich mit ihren sieben Geschwistern sei sie damals besonders ängstlich gewesen. „Ich habe überall Geister gesehen“, erzählt Song. Ihre Mutter und Oma waren schamanisch und teils buddhistisch geprägt. „In Deutschland hatte ich plötzlich keine Angst mehr, und ich habe mich gefragt, woher kommt das? Vielleicht, weil ich die Orte nicht kannte – so hatte ich auch keine Geistererzählungen dazu.“

Gastarbeiterin: 1972 kam Song mit Anfang zwanzig in die Bundesrepublik Deutschland. Süd­ko­rea ging es zu der Zeit wirtschaftlich schlecht, und als Frau war es umso schwerer, dort Arbeit zu finden. Also ließ sie sich wie etwa zehntausend andere südkoreanische Frauen in den 1960er und 1970er Jahren anwerben, um die Lücke in west­deu­tschen Krankenhäusern zu füllen. Song landete in einer niedersächsischen Kleinstadt. Zu Beginn versuchte sie, europäische Einflüsse wie etwa Fernsehen zu vermeiden. „Ich dachte, ich muss so bleiben, wie ich bin und dann schnell zurück nach Korea.“

Eigenes: Die Arbeit in den Krankenhäusern war hart, auch körperlich. Auf ihrer ersten Arbeitsstelle rief man sie drei Jahre lang „Schwester Maria“, da man ihren eigentlichen Namen für zu kompliziert hielt. Immer wenn Song Heimweh hatte, zeichnete sie zum Trost ihre Erinnerungen an die alte Heimat. Als sie sich mit diesen Zeichnungen an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bewarb, wurde sie direkt aufgenommen. Mit dem Studium tauchte Song in eine „völlig neue Welt“ ein, deren Lebendigkeit sie faszinierte. Damit stand fest, dass sie vorerst in Deutschland bleiben würde – sehr zur Enttäuschung ihrer Eltern. Erst zwölf Jahre nach ihrer Ankunft kehrte Song für einen Besuch nach Südkorea zurück.

Rückhalt: Als Studentin schloss Song sich der Koreanischen Frauengruppe an, die Ende der 70er Jahre in Frankfurt am Main gegründet worden war. Viele der Frauen sind noch heute ihre engsten Vertrauten, die sie in Nicht-Corona-Zeiten regelmäßig sieht. Die Selbstorganisation von Migrantinnen setzte sich damals erfolgreich für ein Bleibe- und Arbeitsrecht der koreanischen Krankenpflegerinnen ein, die gegen ihren Willen nach Südkorea zurückkehren sollten. „Das geht nicht, dass die uns erst als Gastarbeiterinnen holen und uns einfach zurückschicken, wenn sie uns nicht mehr brauchen“, sagt Song.

In dem holzverkleideten Atelier der Künstlerin riecht es angenehm nach Tempera Foto: Miguel Ferraz Araujo

Protest: Mit der Frauengruppe engagierte Song sich auch gegen die Inhaftierung von Protestierenden im Kontext des Gwangju-Aufstands von 1980 in Südkorea. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung durch das südkoreanische Militär hatte bis zu zweitausend Menschen das Leben gekostet; viele der Demonstrierenden saßen im Gefängnis. Song kennt die Stadt Gwangju gut. Als Jugendliche hat sie dort mit einigen ihrer Geschwister gewohnt und eine evangelische Missionsschule für Mädchen besucht.

Ausdruck: Tontöpfe, Pfähle, Seidenbänder – auf Songs Gemälden entstehen Gegenstände aus wenigen, präzise ausgeführten Pinselstrichen, die als solche erkennbar bleiben. Die verwendeten Materialien entspringen der europäischen Tradition, Methode und Themen der asiatischen. Die Deutung ihrer Bilder überlässt die Künstlerin den Betrachtenden. „Wenn ich male, brauche ich nicht zu sprechen, aber Malerei ist auch eine Sprache“, sagt sie.

Körper und Seele: Song arbeitet im Stehen, die Leinwand liegt auf dem Boden. „Meine Malerei ist eine sehr körperliche Sache: Mein ganzer Körper muss sich bewegen, ich muss die Farbe aus dem Pinsel fließen lassen, nicht zu viel und nicht zu wenig. Ich muss instinktiv Körper und Seele zusammenführen, und manchmal gelingt das, und manchmal nicht“, erklärt sie. Für den Prozess sind Konzentration, Gelassenheit und Atmung wesentlich. Und Tee: Reistee, Fencheltee, Rooibostee. Ob ein Gemälde gelungen ist, kann sie erst nach ein paar Jahren sagen.

Ruhe: Bevor sie nach Hamburg zog, lebten sie, ihr Mann und ihr Sohn als Kleinfamilie zehn Jahre in einem stillgelegten ehemaligen Bahnhof im Dorf Herzhorn in Schleswig-Holstein. „Aber ich habe gemerkt, dass ich dort nicht alt werden wollte“, sagt Song. Auch weil ihr Sohn Diskriminierung erlebte. Also zog die Familie fort, nach Hamburg, wo Song sich wohlfühlt: „Hier kann ich meinen Rhythmus und meine Ruhe finden. Heimat ist für mich dort, wo ich in meinem Atelier arbeiten kann.“

Akzeptanz: Song hat zahlreiche Preise für ihre Kunst erhalten, darunter den Edwin-Scharff-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg. Ihre Ausstellungen sind weltweit zu sehen. In Deutschland hat sie das Gefühl, nur bis zu einem bestimmten Punkt akzeptiert worden zu sein. „In Deutschland ist es egal, ob man eine deutsche Staatsangehörigkeit hat oder nicht – wenn man fremd aussieht und einen fremden Namen hat, wird man weniger akzeptiert.“

Künstlerpaar: Rückzugsmöglichkeiten sind Song sehr wichtig, auch im eigenen Haus. Ihren Partner Jochen Hiltmann kennt sie seit 45 Jahren. „Gott sei Dank, dass er auch Künstler ist“, sagt sie. „Beide Künstler, das kann schwierig sein. Aber wir können miteinander reden und diskutieren, auch über meine Malerei.“ Hiltmann darf sie scharf kritisieren, aber nicht jede Kritik nimmt sie an. Der Sohn der beiden lebt in Singapur und leitet das dortige Goethe-Institut. „Er macht seine Arbeit gerne und gut, darüber freue ich mich sehr“, sagt Song, und fügt hinzu: „Wir sind aber froh, dass er kein Künstler geworden ist.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!