Die große Zombie­fication

Der Kapitalismus scheint sich wie ein Zombie auf immer mehr Lebensbereiche auszuweiten. Um den sozialen und ökologischen Kollaps zu verhindern, möchte Raul Zelik einer weiteren Untoten neues Leben einhauchen: der sozialistischen Idee

Raul Zelik: „Wir Untoten des Kapitals. Über politische Monster und einen grünen Sozialismus“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 328 Seiten, 18 Euro

Von Georg Sturm

Mit dem Kapital verhält es sich wie mit einem Virus. Ein Virus allein ist nicht lebendig. Um sich ausbreiten und vermehren zu können, ist es auf Wirtszellen angewiesen. Was beim Virus die Wirtszelle, ist dem Kapital die Arbeit. Ähnlich beschreibt es Karl Marx, wenn er von Kapital als verstorbener Arbeit spricht, „die sich nur vampirmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und umso mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt“.

Diese Metapher greift Raul Zelik in seinem Buch „Wir Untoten des Kapitals. Über politische Monster und einen grünen Sozialismus“ auf und überträgt sie auf die popkulturelle Figur unserer Zeit: den Zombie.

Ob in George A. Romeros Horror-Schockern oder dem HBO-Kassenschlager „Game of ­Thrones“, die Untoten sind erstaunlich populär. Zeliks Erklärung: Dem spätmodernen Menschen sei das Gefühl des Kontrollverlusts und der absoluten Fremdbestimmung allzu vertraut. Auch wenn das Buch bereits vor der Verbreitung des Coronavirus verfasst wurde, so erscheinen seine Forderungen im Lichte der Pandemie umso dringlicher.

Die Ausgangsthese: Unsere Produktions- und Lebensweise stießen aus ökologischen und sozialen Gründen an ihre Grenzen. Daher sei es notwendig, über Gegenentwürfe nachzudenken, die über den Kapitalismus, aber auch den Sozialismus in seinen bisherigen Ausprägungen hinausweisen.

Verabschieden will sich Zelik vom Sozialismusbegriff jedoch nicht, sondern ihm vielmehr neues Leben einhauchen. Der Politikwissenschaftler und Schriftsteller wirbt in seinem Buch für einen „neuen, grünen, aus der Gesellschaft entwickelten, demokratisch-egalitären Sozialismus“.

Trotz des Scheiterns sozialistischer Systeme, die Zelik an mehreren Stellen undogmatisch seziert, berge die Geschichte der sozialistischen Bewegungen einen enormen Erfahrungsschatz. Zudem sei sie die einzige Kraft, die die zentrale Bedeutung der Eigentumsfrage anerkannt habe.

Denn im Eigentum liege, so Zelik, die entscheidende Ursache dafür, warum im Kampf gegen den Klimawandel zu wenig geschieht: „Eine grundlegende Konversion des Wirtschaftsmodells berührt die Interessen des Kapitals.“Die politische Macht der großen Vermögen verhindere, dass im gesellschaftlichen Interesse gehandelt werden könne.

Dass die Idee eines „grünen Kapitalismus“ eine Illusion darstellt, weiß auch Zelik, der für eine Abkehr vom Wachstumsparadigma und den damit verbundenen Vorstellungen von gesellschaftlichem Wohlstand plädiert. Was Zelik vorschwebt, ist eine Mischung aus einem linken Green New Deal, Infrastruktursozialismus und Wirtschaftsdemokratie gepaart mit einer antirassistischen und feministischen Politik.

Was also tun?

Sowohl Reform als auch Revolution seien in der Vergangenheit stets gescheitert, so Zelik, der im Parteivorstand der Linken sitzt und die „Bewegungslinke“ mitgegründet hat. Für eine sozialökologische Transformation brauche es weder nur soziale Bewegungen noch nur Parteipolitik, sondern vielmehr ein Ensemble gesellschaftlicher Praktiken, die gemeinsam der Kommodifizierung des Lebens entgegen­wirken.

Mit derklugen Verknüpfung aktueller linker Debatten gelingt Zelik ein überzeugendes Plädoyer für einen grünen Sozialismus. Das ausgesprochen dichte Werk basiert auf einer beeindruckenden Literaturvielfalt, ist dank vieler unterhaltsamer popkultureller Metaphern aber dennoch gut lesbar. Zelik argumentiert nicht nur überzeugend, warum es einer Überwindung des Kapitalismus bedarf und was auf diesen folgen könnte, sondern beschäftigt sich auch differenziert damit, wie eine solche Transformation gelingen könnte.