taxi-driver reloaded von HARTMUT EL KURDI
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Ich weiß, Taxi-Texte haben aufgrund einer gewissen Beliebigkeit einen üblen Leumund, aber falls Sie jemals nach Braunschweig kommen, möchte ich nicht, dass es heißt, ich hätte Sie nicht gewarnt. Denn sie ist immer noch unter uns: DIE IRRE TAXIFAHRERIN.

Das Erste, was ich von ihr wahrnahm, war eine Stimme wie ein Hodentritt. Ich wartete in meiner Küche auf den bestellten Wagen, da hörte ich einen akustischen Reiz irgendwo zwischen Kampfhundgekläffe, Wrestler-Gegröle und dem Geräusch einer Flex, mit der auf einem bankrotten Bauernhof ein alter Mähdrescher zerlegt wird. Ich schaute aus dem Fenster.

Vor dem Haus stand das leere Taxi mit geöffneter Fahrertür, dahinter das Auto eines meiner Nachbarn und daneben eine nikotingegerbte Frau Ende 40, die den völlig perplexen Fahrer durch die Windschutzscheibe anschrie, als wolle sie das Glas zum Bröseln bringen. Er solle sich verpissen, sie müsse gleich hier raus, so Typen wie ihn habe sie gefressen, und dann schlug sie mehrmals mit der flachen Hand auf seine Motorhaube. Er stieg reflexartig aus, um seinen VW-Jahreswagen zu schützen, da schoss DIE IRRE TAXIFAHRERIN auf ihn zu und brüllte ihm im Ein-Zentimeter-Abstand ins Gesicht, so wie das amerikanische Soldatenausbilder mit amerikanischen Soldaten in amerikanischen Soldatenfilmen tun. Er zögerte kurz, schluckte dann defensiv, stieg ins Auto und fuhr zurück. Ich beeilte mich nach unten zu kommen und schlüpfte ängstlich ins Taxi.

DIE IRRE TAXIFAHRERIN krawallte die ganze Fahrt weiter über „diesen Bekloppten, kennen Sie den?“, dann über die Ampelschaltungen und schließlich über den „Scheißweihnachtsverkehr“: „Da kommen diese ganzen dummen Landeier in die Stadt, die fahr’n ja sonst nur Trecker, die muss man alle zum Idiotentest schicken.“ Das fand ich fast komisch, aber sie hob zu einer pathologischen Anti-Weihnachts-Suada an, verfluchte den Konsumwahn und fragte: „Feiern Sie Weihnachten?“ Ich sagte, ja, schon wegen meiner Tochter, da müsse man … „Ach was, dass kann die nicht früh genug lernen, dass das Schwachsinn ist, so ist das nun mal im Leben, ist doch alles Scheißdreck!“

Ich schwieg verstört. Als wir angekommen waren, stellte ich fest, dass ich nur einen Fünfziger hatte. DIE IRRE TAXIFAHRERIN schaute mir in die Augen. Der hirnentsichernde Blick sagte: „Du kannst dir doch vorstellen, was jetzt passiert, oder?“ Wörtlich sagte sie: „Jetzt ham wer ’n Problem, Freundchen!“ Ja, sie sagte wirklich „Freundchen“ zu mir, und ich ließ es mir gefallen. Und hörte mir in Death-Metal-Lautstärke an, dass das eine Unverschämtheit sei, ich ja wohl überhaupt nicht nachdenken würde und ob sie eine Bank wäre … Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen. Irgendwann atmete sie tief ein und gab mir problemlos die 35 Euro raus. Auf eine Quittung verzichtete ich.

Gestern bestellte ich nach langer Zeit mal wieder ein Taxi. Als ich die Wagentür öffnete, brüllte Sie: „Wenn ich noch mal so ’n Radfahrer in der Einbahnstraße erwische, dann fahr ich den an die Wand!“ Schweiß brach mir aus. Panisch griff ich zum Portemonnaie. Und augenblicklich war mir klar: Ich hatte nur einen Hunderter in der Tasche …