Der Schmetterling ist gelandet

Der DJ und Labelmacher Wilson Vilares hat eine Passion für lusophone Tanzmusik aus Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, Kapverden sowie São Tomé und Príncipe. Und er lässt Berlin an dieser Freude teilhaben

Ein ganz besonderer Schallplattenunterhalter: Wilson Vilares Foto: Promo

Von Eric Mandel

In Zeiten, in denen das Berliner Nachtleben sich aufs Sitztrinken im kleinen Kreis beschränkt, müssen die Vielflieger unter den DJs am Boden bleiben. Die gute Nachricht: Ein seltener Schmetterling unter den Schallplattenunterhaltern ist trotzdem in der Stadt gelandet: Der DJ und Labelmacher Wilson Vilares aus Lissabon nutzt einen Kurzbesuch, um aufzulegen und den Katalog seines Labels Celeste Mariposa („Himmlischer Schmetterling“) zu promoten. Vor Jahren tourte Wilson mit seinem Partner José Rotativo unter diesem Namen über die House-Floors europäischer Festivals und Clubs. Doch dann erwachte im Sohn angolanischer Eltern das Interesse an der Musik aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Afrika: Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, die Kapverdischen Inseln und der Inselstaat São Tomé und Príncipe.

All diese Länder haben ihren eigenen Sounds hervorgebracht: Sie heißen Funaná, Puxa, Merengue, Marrabenta, Semba oder Gumbé und haben sich, verbunden durch Sprache und Kolonialgeschichte, gegenseitig beeinflusst. Mit Ausnahme von Angola hat keine der Ex-Kolonien eine eigene Plattenindustrie hervorgebracht. Die heute hoch gehandelten Platten von Musikern wie Bonga (Angola), José Casimiro (Kapverden) und dem 2019 verstorbenen Pedro Lima (S.Tomé) wurden überwiegend in Lissabon aufgenommen und gepresst. Und viele Mu­si­ker*in­nen von damals leben noch heute in der portugiesischen Hauptstadt … allerdings zumeist nicht von Musik.

Infiziert von Flohmarktplatten und Gerüchten machte sich Wilson also auf die Suche nach ihnen und fand so den angolanischen Sänger Chalo Correia und den virtuosen Julinho da Concertina, der noch in hohem Alter für hohes Tempo und Virtuosität steht. Vilares aktivierte beziehungsweise reaktivierte Begleitmusiker und Auftritte und produzierte mit den alten Recken zwei LPs: rohe, schweißtreibende Dokumente lusophoner Tanzmusik, die fast nur im Geheimen weiterlebt.

Ein drittes, subtileres Album der kapverdischen Sängerin Tété Alhinho ist nur auf CD erschienen und ein Tipp für Fans der Morna und des Fado. Auf einer weiteren Veröffentlichungslinie presst Wilares eigene Edits obskurer Disco-Nummern in winzigen Vinyl-Auflagen. Nicht um mit anderer Leute Musik Geld zu verdienen, sondern um das kleine Netzwerk aus DJs, Veranstalter*innen, Sammler*innen und Enthusias­t*in­nen zu ölen, die heute mehr als sonst aufeinander angewiesen sind.

Gut, dass dieses Netzwerk auch einen Knoten in Berlin hat, und das ist das DJ-Kollektiv Tropical Timewarp, das unter diesem Namen in wechselnden Clubs Hof hielt, darunter im Badehaus, vor allem aber im Yaam. Mit wachsender Verwurzelung in der Berliner Clublandschaft konnte das von den DJs Soulvendor, Best Mate und Bela Patrutzi gepflanzte Projekt so weit gedeihen, dass DJs wie Vilares und sogar tourende Bands wie Africa Negra veranstaltet werden konnten.

Die Sounds: Funaná, Puxa, Merengue, Marrabenta, Semba, Gumbé

Solche Einkommensquellen sind für Celeste Mariposa auf absehbare Zeit versiegt. Die Produktion eines Albums mit der Band Djumbai Jazz aus Guinea-Bissau musste unterbrochen werden, da schlicht das Geld fehlte. Auch Vilares’ eigenes Bandprojekt Lisboa Crioula ist vom kulturellen Shutdown betroffen. So bleibt ihm im Moment nichts, außer mit Berliner Freunden für nicht tanzendes Publikum aufzulegen: Am Sonnabend Nachmittag spielt er ein Set am Yaam Beach, der mittlerweile wieder regelmäßigen Betrieb aufgenommen hat. Allerdings muss er sich nach spätestens drei Stunden von DJ-Kollege Ras Lion ablösen lassen, denn um 20.00 Uhr hat er einen Termin mit dNn Kollegen vom Tropical Timewarp, die seit neustem unter dem Namen Frequent Flyers Gastgeber einer Sendung beim Internet-Radio THF sind.

Das Studio befindet sich tatsächlich direkt am einstigen Flughafen, in einem ehemaligen Pförtnerhaus am Columbiadamm. Mit seinem sieben Tage die Woche aktiven Sender und diversen Einzelaktionen hat sich das Torhaus zu einem krisenfesten Treffpunkt für Initiativen und Kreativkollektive entwickelt, die sich mittlerweile in einem Verein organisiert haben. Unter anderem will dieser bei der Ideenentwicklung für das Flughafengebäude ein Wörtchen mitreden. Vorerst, indem er mit politisch alertem Programm, Improvisation und gutem Beispiel auch in Krisenzeiten vorangeht.

Zuletzt fand dort ein einwöchiges Festival mit ausschließlich weiblichen und LGBT*-DJs statt. Die Radio-Seite hat ihren eigenen Stream-Player und lässt sich auch im Alltag gut hören, dank zahlreicher Talks und Resident-DJs wie Derya Yıldırım, Amuleto Manuela, Femdelafem und eben den drei „Frequent Flyers“ von Tropical Timewarp und ihrer radiophonen Hommage an die goldenen Jahre afrikanischer und lateinamerikanischer Vinyl-Produktionen: Highlife, Afrobeat, Tropicália, Cumbia, Dub und Jazz können passieren, mit Sicherheit aber ein Gast-Set von und ein Kurz­niterview mit Wilson Vilares.

Sa. 25. 7., 16 Uhr, Yaam Beach: Celeste Mariposa & Ras LionSa 25.7., 20 Uhr, Frequent Flyers w/ Wilson Vilares @ THF Radio https://www.thfradio.de/