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Kopieren gilt heute als schwach. Aber vor allem im asiatischen Raum galt das Wiederholen und Abzeichnen als Weg des Lernens. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe widmet der Kulturtechnik eine Ausstellung

Hat im 18. Jahhundert eine große Welle des Kopierens angestoßen: Katsushika Hokusais „Die große Welle im Meer vor Kanagawa“ Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg/Public Domain

Von Hajo Schiff

Kopieren gilt als schwach, feige, gar als kriminell – zumindest heute und in den westlichen Kulturen. Aber an den Akademien des 19. Jahrhunderts, in den altmeisterlichen Malerschulen und vor allem im asiatischen Kulturkreis war individuelle Originalität stets nachgeordnet. Wiederholen und Abzeichnen war kein Copyright-Verstoß, sondern ein notwendiger Weg des Lernens und als Hommage an die Lehrer selbstverständlich. Manche Schüler nahmen in konsequenter Nachfolge sogar den Namen des Meisters an oder heirateten dessen Witwe.

Noch heute gehört von Ägypten bis China Kopieren zur Grundausbildung an Kunstschulen – und diese geistige Haltung reicht zudem weit in politische und philosophische Lehren hinein. Solche Referenzen auf das ererbt Vorgegebene ähneln auf verblüffende Weise dem heute höchst einfachen, gleichwohl faulen Zugriff auf tradiertes Wissen im Weltinformationsvorratshalter Internet: Das vorgeblich Eigene entsteht durch „Copy & Paste“.

Es ist also ziemlich elegant, wenn das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg unter genau diesen Titel eine kleine Ausstellung ausgewählter japanischer Motive stellt. Zitieren als schöne Kunst betrachtet, wäre auch eine zutreffende Charakterisierung. Denn es geht vor allem um das Weiterleben von Bildmotiven – als Selbstzitat in immer neuen Varianten von unterschiedlich kolorierten und editierten Farbholzschnitten bis hin zur späteren Verwendung von einmal gefundenen Bildmotiven auf allerlei Alltagsschnickschnack.

Der heute berühmteste japanische Farbholzschnitt ist sicher das Bild „Unter der Welle im Meer vor Kanagawa“ von Katsushika Hokusai. Von einer der Illustrationen aus dem Zyklus „Die 36 Ansichten des Berges Fuji“ hat es sich als „große Welle“ zu einem abstrakt-heroischen Bildzeichen verselbständigt, dass nicht nur in Japan bis heute Hunderte von Objekten ziert, von T-Shirts über Taschen bis zu Streichholzschachteln und Wandmalereien – auch 40 Quadratmeter groß ein Haus in der Barnerstraße in Ottensen. Ob diese Riesenwoge tödlich bedrohlich oder doch nur von gewaltiger Schönheit ist, hängt übrigens stark von der hier und in Asien unterschiedlichen Leserichtung des Bildes ab. Eine andere, gespiegelte Variante der „Welle“ macht das erfahrbar.

Zum abstrakt-heroischen Bildzeichen verselbstständigt: Katsushika Hokusais „große Welle“ findet sich heute auf Tassen, T-Shirts, aber auch auf einer Hauswand in Hamburg-Ottensen Foto: Fotos (2): MKG

Schon im 19. Jahrhundert hat der Gründungsdirektor des Museums, Justus Brinckmann, in der damaligen spätimpressionistischen, auch den Jugendstil beeinflussenden Japanbegeisterung einen frühen Druck der „Welle“ erworben. Die war als Farbholzschnitt in hohen Auflagen schon damals kommerzielle Massenware, kaum anders wie heute das wiederaufgenommene Motiv beispielsweise für Plakate verwendet wird.

Der große Holzschnittmeister Hokusai (1760–1849) selbst hat auch ab 1814 ganz direkt 15 Vorlagenbücher herausgeben lassen, deren Figurenskizzen dann weiterverwendet werden konnten und sollten. Der heutige Name der popkulturell so außerordentlich erfolgreichen japanischen Manga leitet sich genau von dieser damaligen „Sammlung von Zeichnungen“ ab.

Überhaupt erscheinen manche Blätter zeitlos modern: Wenn Utagawa Kuniyoshi sechs Schauspielerkarikaturen und eine grob gekritzelte Katze an einer Hauswand darstellt, so ist das nicht nur ungewöhnlich frech, sondern auch eine Umgehung des zeitweilig im alten Edo geltenden Verbots, für Kabuki-Darsteller zu werben.

Wichtig ist, kleine Abweichungen im Kopierprozess zu bemerken und wertzuschätzen. Entwicklung erfolgt also nicht über Brüche und Opposition, sondern über langsame Veränderung und Neukontextualisierung. So führt die Ausstellung auch Vorzeichnungen und zahlreiche Druckvarianten des scheinbar Gleichen in verschieden Einfärbungen vor und zeigt, dass die Grundfarben oft damals technisch neue Blautöne waren: Das synthetische „Preußisch-Blau“ wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts in Berlin erfunden und später über China nach Japan importiert. Hokusai war einer der Pioniere der Verwendung dieses in Japan nach der Berliner Herkunft „Beroin“ genannten Pigments.

Zu sehen sind auch zahlreiche Übertragungen von Wellen-, Blumen- und Figuren-Motiven auf Wandschirme, auf alte und neue Bücher oder Geschirr und sogar auf ein Kleid von Vivienne Westwood aus den 1990er-Jahren. Am ungewöhnlichsten sind sicher die ansonsten lästigen, präparierten Nachtfalter, deren Flügel der Künstler Akihiro Higuchi 2014 bemalt und mit ebenfalls traditionellen Motiven verschönert hat.

Indem das Museum nun seinen Archivbestand von etwa 15.000 Objekten und Bildern aus China, Korea und Japan mit Hilfe der Zeit-Stiftung neu sichtet, findet sich auch eine ganz unmittelbare Verbindung zu Hamburg. Der Kunsthistoriker, Verleger, Mäzen und Sammler Gerhard Schack (1929–2007) hat dem Haus nicht nur über 2700 grafische Arbeiten aus Asien hinterlassen, er motivierte auch das Hamburger Zeichner-Unikum Horst Janssen (1937–1995), sich mit der japanischen Bildwelt zu befassen und sie zu verarbeiten: Ein weiteres Beispiel von „Copy & Paste“ und dessen künstlerischer Umformung, der hier eine Vitrine mit ironischen Paraphrasen gewidmet ist.

Klassische Repetition funktioniert heute eben nur mit eingebauten Brüchen. Doch auch scheinbar Neues hat meist uralte Ahnen. Traditionen wirken gern im Hintergrund, manche revolutionäre Erfindung ist schon längst irgendwo vorgeformt, selbst falls die individuelle Kopie aus dem angehäuften Weltvorrat unabsichtlich erfolgt. Und die große Welle von Hokusai oder der Naruta-Strudel von Utagawa Hiroshige kommt dann hier bis ins heimische Bad.

„Copy & Paste. Wiederholung im japanischen Bild“: Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe, bis 30. 8.

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