Rechtsstreit um Unkrautvernichter: Glyphosat-Gegner können punkten
Kritiker des Herbizids haben vor dem EuGh einen Erfolg errungen. Eine Klage gegen die verlängerte Zulassung hätte nicht abgewiesen werden dürfen.
Hintergrund der Entscheidung ist die Klage der Region Brüssel-Hauptstadt gegen die verlängerte Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat vom März 2018. Die EU-Kommission hatte den Einsatz des Herbizids im Dezember 2017 für weitere fünf Jahre erlaubt.
Nach Ansicht der Brüsseler Regionalregierung sind die Auswirkungen des Mittels auf die Gesundheit jedoch unklar: So sind sich Wissenschaftler nach wie vor uneinig darüber, ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht. Aufgrund der geäußerten Zweifel seien zumindest weitere Untersuchungen notwendig, argumentierte die Regierung 2018 in ihrer Klageschrift. Sie wollte die Entscheidung der EU-Kommission deshalb für nichtig erklären lassen.
Das EU-Gericht entschied jedoch in erster Instanz, dass die Regionalbehörde von der angefochtenen Verordnung nicht unmittelbar betroffen und somit auch nicht klageberechtigt sei. Die Belgier zogen daraufhin vor die nächsthöhere Instanz, den EuGH.
Sehr wohl von der EU-Entscheidung betroffen
Der zuständige EuGH-Generalanwalt Michal Bobek argumentiert nun in seinem Gutachten zu dem Fall, das EU-Gericht habe das Kriterium der „unmittelbaren Betroffenheit“ zu eng ausgelegt. Die Region Brüssel-Hauptstadt sei von der EU-Entscheidung sehr wohl betroffen – weil sie durch diese daran gehindert wird, ihre autonomen Befugnisse auszuüben.
In der Auseinandersetzung um das Pestizid Glyphosat geht es konkret darum, dass die Region Brüssel-Hauptstadt eine Null-Pestizid-Politik verfolgt. Sie will die Nutzung des Mittels verbieten. Da der Wirkstoff in der EU derzeit genehmigt ist, ist das allerdings rechtswidrig. So hat die EU-Kommission mehrfach deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nicht vollständig untersagen, sondern nur im Rahmen des europäischen Pflanzenschutzrechts beschränken können.
Die Region Brüssel-Hauptstadt sieht sich darin eingeschränkt – zu Recht, wie der Generalanwalt nun urteilt. Seiner Meinung nach kann die Region unter diesen Voraussetzungen ihre Befugnisse zur Regelung der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in ihrem Gebiet nicht nach eigenem Ermessen ausüben. Sprich: Die Behörde sei verpflichtet gewesen, die Zulassung von Glyphosat zu verlängern. Trotz Zweifel der Regierung hinsichtlich der Schädlichkeit des Mittels darf sie dessen Nutzung nicht verbieten, wenn sie nicht gegen EU-Recht verstoßen will.
Laut dem Generalanwalt Bobek ist die Region deshalb zu einer Klage vor dem EuGH berechtigt. In seinem Gutachten kritisiert er, dass der Zugang zu den EU-Gerichten generell zu sehr begrenzt werde. Die “übermäßig restriktiven Tendenzen“ bei der Auslegung und Anwendung der Regeln seien bedenklich. Lese man die Rechtsprechung der Gerichte mit kritischem Blick, könne man nur überrascht sein, wie viel Eifer und Kreativität bei der Feststellung des Fehlens einer unmittelbaren Betroffenheit an den Tag gelegt würden. Bobek fordert deshalb, dass EU-Entscheidungen stärker angefochten werden dürfen.
Sein Gutachten ist noch kein Urteil, sondern nur eine Empfehlung. Die Schlussanträge der Generalanwälte sind für den europäischen Gerichtshof zwar nicht bindend, oft folgt er aber seinen Gutachtern. Die Entscheidung, ob der EuGH die Klage der Region Brüssel-Hauptstadt gegen Glyphosat doch noch zulässt, wird in einigen Wochen erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!