berliner szenen
: Schnee­zwitschern im Sommer

In Berlin gibt es eine neue Vogelart und ich hab sie entdeckt. Im Hinterhof, wo ich wohne. Ich gab ihr den Namen Schnee-Flöter. Er baut in sein Geträller immer wieder einen Ausschnitt aus „Jingle Bells“ ein, wo es ja um eine Schlittenfahrt geht. Es ist nicht die Stelle „Jingle bells, jingle bells“, sondern die Tonfolge direkt danach: „Jingle all the way“. Im Frühling begann er zu singen und ich – ein Winterphobiker – fand den Kontrast irgendwie krass; endlich warm, sonnig, grün und dann eine Art Mahnung: „Es gibt auch den Winter, denk dran.“ Denk ich eh immer dran.

Doch ich hab mich auch über meine akustische Entdeckung gefreut und ein paar Leute gefragt, die sich mit Vögeln auskennen. Wollte wissen, ob eine Vogelart auf eine Melodie spezialisiert sein kann. Und ob ein Vogel sich eine Melodie ausdenken kann, nur für sich. Dann summte ich den Ausschnitt von „Jingle Bells“.

Die Befragten fachsimpelten gleich rum, sprachen von Reviergesängen, sagten, dass Vögel imitieren, variieren, und einige von ihnen „ganz verrückte Sachen machen“. Sie erzählten von Goldammern, Gelbspöttern und Sumpfrohrsängern. Aber das bei mir im Hinterhof sei wohl eher eine Amsel. Außerdem solle ich sie doch einfach mal aufnehmen. Ist wohl erkenntnisfördernder, als wenn ich einen Ausschnitt von „Jingle Bells“ summe.

Als ich dann im Hof wieder das Schlittenzwitschern hörte, zückte ich das Handy und öffnete die Aufnahme-App. Natürlich zwitscherte der Vogel ab dem Moment alles andere, bloß nicht die „Jingle Bells“-Töne. Ich schloss die App, ging in die Wohnung und der Vogel pfiff wieder „Jingle Bells“. Ich probierte es nochmals mit der App, aber der Vogel beendete rechtzeitig die Tonfolge. Vielleicht ist es so auch besser. So kann ich die Hoffnung behalten, den Schnee-Flöter entdeckt zu haben.

Giuseppe Pitronaci