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Parfümierte Aasvögel, radschlagen-de Pfauen und Plapperpapageien

Ein ungeheures Erdbeben verwüstete 2010 große Teile Haitis. Der Dichter James Noël hat mit „Was für ein Wunder „ einen verdichteten und bildstarken Roman über dessen Folgen geschrieben

Von Eva Schäfers

In den zerbeulten Straßen der Stadt wird aus mieser Laune im Handumdrehen irres Gelächter. Port-au-Prince ist eine bipolare Stadt, schreibt Bernard. Als er von einer Reise aus Rom nach „Pap“, der Hauptstadt Haitis, zurückkehrt, fließen seine Tränen. Ist Bernard das nur notdürftig getarnte Alter Ego des Autors James Noël?

Was für ein Wunder, soll Kolumbus ausgerufen haben, als er Haitis Ufer zum ersten Mal betrat, Was für ein Wunder, rufen die Optimisten, wenn es nach dem Erdbeben, das geschätzte 300.000 Todesopfer forderte, wieder Hoffnung gibt. Und „Was für ein Wunder“ heißt dieser erste Roman von James Noël, der bisher vor allem Gedichte veröffentlicht hat. Aber ist es überhaupt ein Roman? Mit seinen kontemplativen Passagen und der bildlich aufgeladenen Sprache, die wenig Handlung, aber in bildstarken Reihungen Atmosphäre und Gedanken vermittelt? Ihren farbigen Reichtum schöpft Noël aus der Voodoo-Geisterwelt und der Vogelwelt Haitis.

Die Mitarbeiterin einer NGO hat den halbtoten Bernard nach dem Beben unter Geröll hervorgezogen, und sie wird später zu seiner quicklebendigen Geliebten. Sie, seine Amore aus Neapel, hat ihn erkannt, wie er dankbar schreibt: Sie ist die Expat avant la lettre, die als Schmetterling von der Heckenrose zur giftigen Blume der zerbeulten Stadt flatterte. Und was Noëls fantasiebegabte Übersetzerin Rike Bolte dann lautmalerisch aus dem französischen Original hervorzaubert! „Schmetter… Schmetter… Schmetterling“, intoniert sie. Damit spannt sie das zarte Flattertier mit dem krachenden Lärm zusammenstürzender Häuser zusammen. „Schmetter … Schmetter … Schmetterling“. Darauf muss man erst mal kommen! Darin klingt auch der viel zitierte Schmetterlingsflügelschlag an, der auf der anderen Seite der Erde ein Erdbeben auslösen kann.

In seinen Naturbildern spannt der Dichter Belebtes und Unbelebtes, Alltägliches mit philosophischer Reflexion, Tiefsinn und Unsinn zusammen, sodass ein funkelndes Kaleidoskop entsteht. Hinter seinen Worten und Wörtern gehen Türen auf. Nichts ist statisch, alles bewegt sich. Immer wieder taucht er ein in die Vogelwelt Haitis: „Unter Amores Fittichen bin ich auf Tauben gestoßen, auf […] parfümierte Aasvögel, radschlagende Pfauen … Plapperpapageien, mit was weiß ich noch allem […]. Der Kleine Bernard ist schließlich kein Tierlexikon. […] Man kann nicht in einem völlig zerrupften Land leben und dann auch noch alle Vogelnamen kennen.“

Das Land zerrupft, schreibt er, hätten die „KingKongs“, eine verschlüsselter Name für die Clintons. Bill Clinton war von Obama zum Sondergesandten Haitis bestellt worden. Zusammen mit Hillary gründete er eine Stiftung für die Hilfe Haitis. Bernard sieht ihre Aktivitäten und die der internationalen NGOs sehr kritisch. Denn trotz Lebensmittel- und Geldspenden habe die Bevölkerung Not gelitten. Und so stehen seine anthropomorphen, geflügelten Tiere, die parfümierten Aasvögel, die radschlagenden Pfauen und die Plapperpapageien für alle, die aus Eitelkeit und Gier auf die Insel kommen, um vorgeblich zu helfen, aber vor allem, um in die eigene Tasche zu wirtschaften.

James Noël: „Was für ein Wunder“. Übertragung aus dem Französischen und Vorwort von Rike Bolte. Verlag LitraDukt. Trier 2020, 119 Seiten, 12 Euro

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