: Beendigung eines sozialen Aufstiegs
Polizei in der Kunst (1): Darrel Ellis' „Untitled (Police Officer)“ – Symbol für das Schicksal einer durch Polizeigewalt zerstörten schwarzen Familie
Von Sebastian Strenger
Ein Police Officer. Mit diesem Motiv versucht der im Alter von 33 Jahren an Aids verstorbene afroamerikanische Künstler Darrel Ellis (1958–992) das Trauma seines Lebens zu überwinden. Es war nur ein kurzes Künstlerleben, in dem Ellis bei den einfühlsamen Fotografien seines Vaters ansetzt, die er teils überarbeitet oder in Gemälde oder Zeichnungen übersetzt wie hier.
Thomas Ellis, der Vater, arbeitete als Auftragsfotograf. Genau einen Monat vor der Geburt seines Sohnes wird er bei einer Verkehrskontrolle durch Polizisten brutal getötet. Darrel Ellis sollte seinen Vater nur durch den Blick seiner Fotolinse kennenlernen. Diese Umstände werden sein Leben prägen, denn mit dem Tod des Vaters endet der Aufstieg der Familie in eine privilegierte schwarze Mittelschicht der Endfünfziger in New York. Der gemalte Polizist ist Symbol für das Schicksal der gescheiterten schwarzen Familie.
Das kleine Fotostudio des Vaters wird geschlossen. Die Existenzgrundlage ist dahin. Stetige Umzüge von Harlem in die Südbronx und zurück befördern den sozialen Abstieg. Das Sichtbarmachen dieser Brüche sollte für Darrel Ellis nach seinem Studium an der Cooper Union zur künstlerischen Obsession werden.
Auch deshalb, weil ihm seine Mutter zu Beginn seines Studiums, Ende der 1970er Jahre, eine Kiste mit den Fotos des Vaters übergab. Darunter das des Police Officers. Ausgangspunkt für seine Gouache, die er durch eine weiße Fläche im Gesichtsfeld des Polizisten verfremdet malte und dann wieder fotografierte.
Das alles bekam in seinem Werk System. Der Sohn fotografierte das Werk seines Vaters, Schwarz-Weiß-Fotografien vom Familienleben und von der schwarzen Community, neu und erstellte Collagen, für die er Fotos und Negative seines Vaters als Ausgangsmaterial benutzte, diese teils übermalte, zerschnitt, verzerrte oder auch durchlöcherte. Löcher, die auch in seinen Schwarz-Weiß-Malereien wiederkehren und mit denen er die Abgründe im Leben einer ganzen schwarzen Community offenlegt.
Die Beweggründe für sein künstlerisches Schaffen beschrieb er einmal in folgender Notiz: „Viele Familien spüren eine Zerrüttung ihrer Einheit, weil sie diese Fehlstellen haben“, „aber die schwarze Familie ist heute ein besonders großes Thema, dabei gibt es gar keine schwarze Familie mehr. Sie ist Teil meiner Tagträume. Manchmal, wenn ich auf diese Fotos schaue, sehe ich nichts als Löcher.“
Als Darrel das Bild malt, ist er bereits an Aids erkrankt. Seine Künstlerfreundin, die Fotografin Nan Goldin, hatte ihn zwei Jahre zuvor im Rahmen der von ihr kuratierten Ausstellung „witnesses“ als Zeugen einer aufstrebenden Künstlergeneration New Yorks präsentiert, die nun infolge der Epidemie und der hohen Sterberate unter den US-amerikanischen Homosexuellen mit all ihren Talenten im Alter von nur 25 bis 40 Jahren zu verschwinden drohte.
Goldins Kalkül, mit der Ausstellung politischen Druck auf die damalige republikanische Reagan-Regierung auszuüben, ging nicht wirklich auf. Damals wie heute wurde die Epidemie aus politischen Gründen nur bedingt zur Chefsache erklärt. Darrels Freunde wie der Fotograf Robert Mapplethorpe, der ihn vielfach porträtierte, sowie Peter Hujar oder Keith Haring wurden ebenfalls Opfer dieser New Yorker Jahre, in denen jede halbe Stunde ein Aidstoter vermeldet wurde.
1992 nimmt Darrel Ellis mit elf Arbeiten an der legendären MoMA-Ausstellung „New Photography 8“ teil, mit der der Künstler tragischerweise genau zu der Zeit seinen internationalen Durchbruch schaffte, als er infolge seiner Aidserkrankung im Frühjahr ins Koma fiel und am 3. April starb. Dass sein Werk wiederentdeckt wurde, ist der Kuratorin und Autorin Cay-Sophie Rabinowitz zu verdanken. Dass es derzeit noch einmal eine ganz neue Aktualität erfährt und in Berlin unter dem Titel „Darrel Ellis. Matter“ noch bis zum 29. August in der Galerie Crone gezeigt wird, das hängt auch mit der schrecklichen Parallele zwischen dem gewaltsamen Tod von Ellis’ Vater in New York vor 62 Jahren und dem von George Floyd in Minneapolis Ende Mai dieses Jahres zusammen.
Dieser Text ist der Auftakt zu einer Sommerserie: Die aktuelle internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und die nationale Auseinandersetzung darüber, wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die Polizei Motiv der Kunst wird. Weitere Texte werden folgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen