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Weißes Rauschen in Schwarz

Aus der Bremer Do-it-Yourself-Szene haben sich Mantar mit minimalistischer Krawallmusik weit hoch in die Heavy-Metal-Weltrangliste geknüppelt. Und jetzt machen sie Grunge

Von Jan-Paul Koopmann

Zu kompliziert sind Mantar sicher nicht, um darüber zu ­schreiben. Dass die erfolgreiche Metal-Band im Feuilleton trotzdem nicht vorkommt, dürfte im Gegenteil wohl gerade an der vermeintlichen Eindeutigkeit der Sache liegen. Abgesehen von den Detailfragen der Metal-Fachblätter oder Fragen regionaler Verbundenheit scheint ja alles nur allzu offen auf dem Tisch zu liegen: brachiale Musik und ein finster-poetisch übersättigtes „Aufs Maul“ im Drumherum aus Text und Artwork. Mantar sind zwei Menschen aus Bremen; eine Gitarre, ein Schlagzeug und außer Schreien weiter nichts.

Nur ist gerade das die hohe Kunst. Früher hätte die Musik bereits wegen ihrer gewollten Schlichtheit für Aufregung gesorgt, als Punk und Hardcore gegen Prog und Kitsch aufbegehrten. Doch da waren Hanno Klänhardt und Erinç Sakarya selber noch Kids und sind durch die legendäre (und heute geschlossene) Bremer Konzertlocation Wehrschloss gesprungen.

Als Mantar zählen sie heute auch international zu den wichtigsten Metalbands diesseits des Rentenalters. Das liegt am schnörkellosen Augen-zu-und-durch und ihrem grundsympathischen Desinteresse am Szene-Tamtam. Doch auch weit über das Krawallgenre hinaus ist beeindruckend, wie der oberflächliche Minimalismus von Mantar auf den zweiten Blick mit Hochdruck in die Breite geht.

Acht Jahre geht das nun so und es fällt gerade auch nur deshalb wieder auf, weil am Wochenende eine neue Platte kam: „Grungetown Hooligans II“ auf dem Band-eigenen Label Mantarecordings. Für die Feldforschung ist das schon deshalb interessant, weil es eine Cover-EP ist und nicht einfach das nächste Düstergedröhne aus erster Hand.

Mantar spielen hier Grunge aus der ersten Hälfte der verrückten 90er-Jahre nach: acht Songs von Bands wie Sonic Youth, Mudhoney oder L7. Das waren die letzten Zuckungen einer Jugendsubkultur, die sich noch ohne Ironie ganz unvermittelt geben konnte, obwohl sie längst im Umbruch war: raus aus der Garage, rein bei MTV und dort dann zur Marke verkapselt, wie man das vom Pop heute nicht mehr anders kennt. Ein Stück der eigenen Vorgeschichte also, was für Mantar auf dieser Platte musikalisch bedeutet: kürzere Songs, eingängigere Arrangements und weniger mystifizierte Gewaltmetaphern im Text.

Wäre dies hier nur ein Feuilletonschwank und kein Metal-Review aus Liebe, man müsste wohl vom ästhetischen Überschuss reden, der in diesen eng und schematisch geschnürten Päckchen aus jedem Takt quillt. Und am Ende müsste man das sogar noch erklären. Aber nichts da! Mantar leben von der Geschlossenheit dieser Konstellation, was typisch für solche Zwei-Personen-Kombos ist: vom selbstreferenziellen Black Metal der unsäglichen Dark­throne bis zur zeitlosen Wohlfühlkatharsis der gottgleichen Droneband Sunn O))). Nur dass es bei Mantar nicht nach sphärischen Soundwänden klingt – sondern als hätte wer zwei wildgewordene Affen in einen rostigen Panzer gesperrt.

Erinç Sakarya verprügelt sein Schlagzeug in auch nach Genremaßstäben beachtlicher Schlagzahl und knüppelt mit Schrei- und Springteufel Hanno Klänhardt um die Wette. Die beiden spielen sich die Bälle mit einer Vertrautheit zu, die von außen wie eine Black Box wirkt. Keine Ahnung wie, aber es funktio­niert und macht einem den Kopf frei für Textbotschaften, die eigentlich keine sind, sondern praktischer Nihilismus: Stürm los und mach mit aller Gewalt – gar nichts! So ähnlich ließe sich das übersetzen und ist dabei gespickt mit mythologischen Gewaltbildern: Hexen, Krieger, Midgardschlange.

Mitunter hat das zu Irritationen geführt, vor allem beim Cover des letzten Albums „The Modern Art of Setting Ablaze“ (Nuclear Blast, 2018). Da war groß und golden der „Lichtbringer“ zu sehen, Bernhard Hoetgers Relief am Eingang der Bremer Böttcherstraße. Bestimmt war das ein bisschen Hommage an Bremen, so wie die allgegenwärtigen Werder-Devotionalien in Mantars Bildwelten. Aber es ist eben auch ein Stück faschistischer Kunstgeschichte, ein Ausdruck von Hoetgers Hitlerverehrung und dessen vermeintlichem Kampf gegen die Mächte des Bösen.

Mantar haben sich erklärt: Sie verstünden den Hoetger mitsamt seiner Widersprüche als erschreckend gegenwärtige Arbeit über die morbide Lust der Massen am Untergang. Die Welt sei heute nicht vernünftiger als damals. Das mag pessimistisch und wenig konstruktiv sein, ist aber sicher nicht die Koketterie mit faschistischer Ästhetik, die man mit viel Zwinker-Zwonker von rechtem Metal und der Neuen Deutschen Härte gewohnt ist.

Apropos Pseudoironie: „Grungetown Hooligans II“ kommt gänzlich ohne aus. Spürbar ist stattdessen ein echtes Interesse an Bands wie Mazzy Star und große Lust am Ohrwurm-Riff ihres „Ghost Highway“. Auch die Jesus Lizards oder Babes in Toyland klingen beachtlich schwungvoll nach sich selbst, erinnern das unbeschwerte Runterdreschen von damals und im besten Sinne kämpferische Riot-Grrrl-Momente – plus eben Mantar.

Was genau das ist, bekommt man auch im Szenevokabular kaum in den Griff, obwohl es doch ungefähr so viele verortende Subgenres wie Bands gibt. Doom-Punk heißt es über Mantar mit eher hilfloser Selbstverständlichkeit: weil zwar beides passt, die Mischung gerade dieser Komponenten aber doch mehr Fragen aufwirft, als weiterhilft.

Dem türkischen Wort nach bedeutet „Mantar“ Pilz, was ja auch solche Zwischenwesen sind, die an der Oberfläche ausblühen, was tief unten wächst. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Klänhardt und Sakarya so was im Sinn hatten. Auch mit irgendwelchen türkischen Wurzeln des Drummers wird das nicht mehr zu tun haben, als dass er das Wort halt kennt.

Darum geht es nämlich eigentlich: zwischen allen möglichen Welten zu changieren und sich mit solch einer Entschlossenheit nicht zu verorten, dass der radikale Alleingang gar nicht mehr als solcher rüberkommt. Mantar kreist in Höchstgeschwindigkeit um sich selbst und seine Zutaten: Werder, nordische Mythologie – und jetzt eben auch Grunge.

Mantar: „Grungetown Hooligans II“, Mantarecordings 2020

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