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Frank Zander über Hertha und Schlager„Hymnen kann man nicht verordnen“

Frank Zander nennt sich selbst Berliner Urgestein. Der Sänger und seine Beziehung zu Kiezkneipen, Gänsebraten und der Hertha-Hymne „Nur nach Hause“.

Hertha-Hymnen-Sänger Frank Zander historisch bei der Aufstiegsfeier von Hertha 2011 Foto: Sven Simon/imago
Interview von Gunnar Leue

taz: Herr Zander, neulich gab es das Hauptstadtderby in der Fußballbundesliga, und Sie konnten nicht wie üblich vor der Ostkurve im Olympiastadion ihre Hertha-Hymne „Nur nach Hause“ singen. Ausgerechnet gegen Union, sehr geärgert darüber?

Frank Zander: Auf jeden Fall. Ich habe sie deshalb fünf Minuten vor der Partie wenigstens zu Hause auf meinem Balkon gespielt. Da standen ein paar Lichter um mich, ich hatte meinen Hertha-Schal um und habe „Nur nach Hause“gesungen. Das konnten sich die Hertha-Fans auf meinem Facebook-Kanal anschauen. Mein Sohn und ich hatten es aufgezeichnet und pünktlich zum Anpfiff abgespielt. Als Livestream wäre es vielleicht doof gewesen, wenn es dann anfängt zu rasseln.

Es wirkte auch seltsam, wie Sie zur Gitarre singend die Fanmassen in der Kurve ansprechen, die ja nur in der Tonkonserve präsent waren.

Ja, das war auch für mich was Neues, aber das Lied gehört einfach zu einem Hertha-Heimspiel dazu. Mir fehlt das total. Ich mag es, vor der Ostkurve zu stehen, die Spieler kommen auf den Rasen ich beginne mit dem Song und die Fans stimmen in den Refrain ein. Da steigt das Adrenalin, man fühlt sich wie in einem Löwenkäfig, unbeschreiblich.

Das Lied gibt es jetzt seit 27 Jahren, es ist eine Coverversion des Rod-Stewart-Hits „Sailing“.

Ich habe das 1993 eigentlich als Kneipenlied aufgenommen. Irgendwann hatte ein Radiosender die Idee, dass ich vor einem Hertha-Spiel im Olympiastadion auf dem Rasen mit zwei Liedern auftreten solle. Mit „Hier kommt Kurt“ und „Nur nach Hause“. Das hat dort sofort gezündet, gleich beim ersten Mal reckten die Fans die Schals in die Höhe. Es war praktisch die Geburt der Hertha-Hymne. Sie hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.

Die Hertha-Fans auch nicht, aber zwischendurch einige Leute im Verein. 2018 wurde kurzerhand entschieden, „Dickes B“ von Seeed als Einlaufhymne zu verwenden. Offenbar fand man das passender zu einer modernen Hertha?

Da haben die Fans aber gesagt: So nicht! Es gab dann eine große Aussprache von Präsident Gegenbauer und Manager Preetz und mir. Am Ende wurde mir wieder erlaubt, mein Lied vor der Ostkurve zu singen. Ich kriege jetzt sogar ein kleines Entgelt und habe einen eigenen Tisch im VIP-Raum, an dem ich mich auf den Auftritt vorbereiten kann. Als die Geschichte durch die Presse ging, bekam ich von Leuten aus Hamburg oder Kiel zu hören: Frankie, komm doch zu uns, wenn die dich hier so behandeln.

Die Ausbootung hat Sie aber schon gewurmt?

Na klar, aber in so einer Situation kommt dann auch wieder der Straßenköter in mir durch. Zum Glück haben sich viele für mich eingesetzt.

Die, die Hertha nicht wie Vereinsinvestor Lars Windhorst als „Big City Club“ sehen, sondern als Traditionsverein, der zu seinen Traditionen stehen soll?

Wenn die Ostkurve nicht mitzieht, können sie noch so viele Ideen von einer neuen Hertha haben. Es ist ja jetzt viel Geld in den Verein geflossen, aber es sind eben auch solche Sachen passiert wie mit Klinsmann, die viele Fans nicht so toll finden. Die Fans sind weiter auf dem Boden geblieben und nicht abgehoben. Für mich sind sie das wahre Hertha-Publikum, ohne die würde alles sehr bescheiden aussehen. Ansonsten will ich aber noch sagen: Seeed ist eine tolle Band und ihren Song „Dickes B“, diesen Reggae, den mag ich. Aber den kann eben keiner mitsingen im Stadion. Man kann nicht einfach eine Hymne verordnen. Lieder sind auf einmal da und entweder nimmt sie das Publikum an oder nicht.

Nina Hagens Union-Hymne „Eisern Union“ war auch ein Auftragswerk des Vereins, hat sich aber schnell durchgesetzt.

Stimmt. Übrigens hatte Union vorher auch mal bei mir angefragt, aber auf zwei Hochzeiten tanzen geht natürlich nicht. Da bin ich treu, weil ich auch ein Westberliner Urgestein bin. Genauso wünsche ich mir, dass Hertha meiner Hymne treu bleibt, denn sie passt nur dorthin. Ich kann die ja nicht woanders hingeben, zum Galopprennen oder so.

Im Interview: Frank Zander

Der Mensch: Frank Zander wurde 1942 in Neukölln geboren. Er hat eine Ausbildung als Grafiker gemacht, aber auch parallel Musik. In den sechziger Jahren war er mit der Beatband Gloomy-Moon-Singers (später nur Gloomys) als Sänger und Gitarrist unterwegs. Mitte der Siebziger platzte er solo mit einem neuen Konzept in die biedere deutsche Schlagerlandschaft: dem schwarzhumorigen Comedy-Schlager wie „Ur-Ur-Enkel Von Frankenstein“. Zudem räumte er mit der schrägen TV-„Plattenküche“, zusammen mit Helga Feddersen, Traumquoten ab. Er ist bis heute umtriebig, war Schauspieler, Synchronsprecher und Produzent von „persönlichen Geburtstags-CDs“. Seit 1968 ist Frank Zander, der sich seinen dritten Vornamen Adolf amtlich streichen ließ, mit Ehefrau Evi verheiratet. Sein Sohn Marcus ist heute sein Manager.

Das Engagement: Seit 1995 organisiert Zander für mittlerweile Tausende Obdachlose in Berlin ein Weihnachtsessen im Hotel Estrel, das von Sponsoren und prominenten Kollegen unterstützt wird. Gewürdigt wurde er dafür mit der Berliner Bürgermedaille und dem Bundesverdienstkreuz.

Der Hit: 1993 hat er den Rod-Stewart-Hit „Sailing“ zur Hertha-Hymne „Nur nach Hause (geh’n wir nicht)“ umgestaltet. Zander wurde 2006 Hertha-Ehrenmitglied, was nicht verhinderte, dass der Verein sein Lied 2018 nicht mehr als Einlaufhymne haben wollte. Nach großem Fanprotest wurde das rückgängig gemacht, so dass Zander die Hymne wieder regelmäßig live vor Spielen im Stadion singen dürfte. Was er nach Ende der Geisterspiele auch wieder tun will.

Wäre aber eine lustige Vorstellung, Damen mit schickem Hut und Sektchen singen eine Zander-Hymne!

Die Rennbahn Hoppegarten hat mich tatsächlich mal gefragt, ob ich eine Hymne für sie schreiben würde. Aber das ist natürlich Quatsch, was soll das denn? Die Leute sind da konzentriert mit ihren Wetten, die singen doch nicht. So was geht nur beim Fußball oder beim Eishockey, wie man am „Eisbären“-Lied der Puhdys sieht.

Jetzt in der Krise geht sowieso nichts groß mit Zuschauern. Sie sind normalerweise immer noch auf Tour, wie sehr trifft Sie die Situation?

Etliche Konzerte sind ausgefallen, Festivals wurden abgesagt. Mir bleibt nur abzuwarten. Wir in der Tanzbranche sind es gewohnt, alles auf uns zukommen zu lassen. Doch jetzt sind wir völlig hinten dran, ohne irgendwelche Möglichkeiten. Die ganze Kulturszene ist praktisch verschwunden.

Für freischaffende Künstler in der Unterhaltungsbranche gehören Unwägbarkeiten zum Joballtag. Führt das zu mehr oder zu weniger Gelassenheit?

Es ist schon ein echter Tiefschlag. Ich merke auch in meinem Alter, wie sehr ich das Publikum brauche. Vielleicht kann man sich mal damit abfinden, vor Autos zu spielen, aber das ist schon irgendwie... hach Gott, es ist ein Geisterauftritt. Die Leute hupen dann, wenn sie sich freuen und drücken auf die Autolichter? So richtig weiß ich auch nicht, wie das gehen soll. Gut, wenn nichts anderes möglich ist, würde ich das auch mal machen. Na ja, vielleicht.

Etliche Menschen, nicht nur junge, erleben jetzt die erste allumfassende Gesellschaftskrise. Sie sind 1942 geboren, aufgewachsen als Nachkriegskind. Gab es in Ihrem Hinterkopf noch einen Platz für den Gedanken, dass so ein Tiefschlag, der jeden trifft, irgendwann kommen könnte?

Nein, überhaupt nicht. Worüber ich mir hin und wieder Gedanken gemacht hatte, war dieses noch größer, noch höher, das die Menschen betreiben. Zum Beispiel diese Riesendampfer, die die Kreuzfahrttouristen über die Meere schippern. Statt 3.000 Passagieren drängeln sich da jetzt sogar 7.000. Was die an Essen und Energie verballern, das gefällt mir gar nicht. Als Wassermann habe ich ja oft so eine Zukunftsahnung und sehe, dass wir irgendwann sehr unter unserem jetzigen Verhalten leiden werden. Vor allem unsere Kindeskinder.

Hier und da gibt es die Hoffnung, dass sich die Menschen durch die Erfahrung der aktuellen Krise ändern würden. Glauben Sie daran?

Nee, daran glaube ich nicht. Das Einzige, was ich sehe: Viele Menschen haben sich Gedanken gemacht, als das normale Leben und die Wirtschaft fast auf den Nullpunkt gingen. Andererseits haben viele gleich gesagt: Ach, das wird irgendwann wieder sein wie früher. Aber, was heißt wie früher?! Wollen wir weiter machen wie früher und noch mehr verballern? Noch weniger auf die Natur achten? Das war ja nun wirklich eine Schelle von Mutter Natur, als wollte sie sagen: So, ihr kleinen Typen da unten, denkt mal drüber nach, was ihr mit mir macht. Ich brauche euch nicht, aber ihr braucht mich. Leider muss der Mensch immer was auf den Deckel kriegen, damit er ein bisschen nachdenklich wird. Aber dann schält sich der Egoismus wieder raus. Die Geldmenschen fangen wieder an durchzudrehen. Neue Autos sollen die Arbeitsplätze retten. Wir produzieren, egal, was dabei rauskommt. Das ist ein Riesenegoismus.

„Und schlägt auch der Blitz ein, wir checken im Ritz ein“, singen Sie in Ihrem neuen Song „Kopf oben“. Eine Prise Galgenhumor gibt’s bei Ihnen immer?

Na klar, ich habe den schwarzen Humor ja auch ein bisschen mit in den deutschen Schlager gebracht. „Frankenstein“ oder „Nick-Nack-Man“, solche Lieder kannte man hier in den Siebzigern gar nicht.

Wie sind Sie damals darauf gekommen, etwas schwarze Farbe in den deutschen Schlager zu bringen?

Ich habe viel AFN gehört, den amerikanischen Armeesender. Da gab es den Moderator Friendly Undertaker mit so einer tiefen Stimme, die mich faszinierte. Irgendwann hat sich meine Stimme selbst in die Richtung entwickelt. Ich bin viel mit meiner Band, den Gloomy-Moon-Singers, getingelt und habe dabei meine Stimmbänder ramponiert, als ich eine Mandelentzündung nicht auskurierte. So ist meine tiefe, zerkratzte Stimme auf der Bühne geboren. Als ich aus dem Song „I want you“ von The Troggs das deutsche Lied „Erna Nr. 1“ machte, fanden das alle unheimlich geil.

Mit Ihren Texten und dem fürs biedere Schlagerpublikum unseriösen Auftreten wirkten Sie wie ein Exot. Hatten Sie die Marktlücke erkannt?

Ich war der erste deutsche Rockschocker. Eine Schallplatte mit einem Totenkopf auf dem Cover wie bei „Nick-Nack-Man“, das fanden viele zuerst gar nicht lustig. Auch die „Plattenküche“, meineFernsehsendung mit Helga Feddersen, war was ganz Neues. Wir waren die Ersten im deutschen Fernsehen, die so eine schrille Show mit Musik und Gags abzogen. Wir hatten alle Bands dieser Welt – und 26 Millionen Zuschauer.

Was eine utopische Zahl ist für die heutige Zeit. Die Aufmerksamkeitskurve konnte im Zuge der neuen Medienvielfalt aber nur noch nach unten gehen. Hatten Sie damit ein Problem?

Solche Zahlen sind heute natürlich undenkbar, deshalb darf man dieser Zeit auch nicht groß nachhängen. Viele haben zu mir später gesagt: Könnt ihr nicht noch mal so was machen? Nein, das geht nicht. Man kann sich gern mal die Wiederholung anschauen, aber wiederholen kann man das nicht. Wir machen heute eben andere Sachen. Ich und mein Sohn Marcus, mit dem ich ja zusammenarbeite.

2004 haben Sie das Album „Rabenschwarz“ produziert, auf dem Sie deutsche Schlagerhits von Peter Maffay bis Marianne Rosenberg in Rammsteinmanier verrockten. Lange bevor Heino die ähnliche Masche entdeckte.

Heino hat später so was Ähnliches gemacht, aber wir waren nicht nur eher, sondern lauter. Bei den Metalfans kam das gut an, die Schlagerschnulzen mal so richtig aufzudrehen.

In Berlin verbindet man Ihren Name heute am meisten, wenn man kein Hertha-Fan ist, mit Ihrem Einsatz für Obdachlose. Seit vielen Jahren organisieren Sie für die ein Weihnachtsgänseessen im Hotel Estrel. Woher rührt dieses Engagement?

Ich kann es gar nicht sagen, ich bin einfach sehr sozial eingestellt. Es ist, als hätte ich eine Pille geschluckt, die mich Ungerechtigkeiten erkennen lässt. Das schüttelt mich dann richtig.

Prägungen aus der Nachkriegszeit, als Sie selbst nicht viel hatten?

Das kann durchaus sein. Ich bin in Neukölln groß geworden und habe noch die Karl-Marx-Straße voller Schutt erlebt und die Rosinenbomber, aus denen Süßigkeiten abgeworfen wurden. Die Bilder haben sich bei mir festgesetzt. Ich habe auch noch den Geruch von meinem ersten Kaufgummi im Kopf. Zu den Kaugummis gab es auch so kleine Bilderchen dazu. Ich habe nie vergessen, wie ich in Berlin aufgewachsen bin und wie es mir früher ging.

Sie verbindet man auch mit Kiezkneipen. Ihre Sympathie zur Partykultur des kleinen Mannes haben Sie musikalisch bekundet, als Sie das Genre des Trinkliedes modernisierten und damit die Hitparade stürmten.

„Ich trink auf dein Wohl, Marie“, das war 1975 ein Riesenhit. Bei der Fernsehaufzeichnung in Baden-Baden haben alle gestaunt und sich gefragt, was macht denn der junge Mann da aus Berlin? Der torkelt beim Singen rum und rülpst auch noch.

Hieß es damals schon: Oh je, dit is Berlin?!

Das deutsche Publikum war schon teilweise irritiert. Viele mochten dieses Trinklied aber auch. In Österreich liebten sie dagegen vor allem meinen schwarzen Humor, den „Ur-Ur-Enkel von Frankenstein“.

Sie präsentieren sich ja bis heute als Schutzpatron der alten Berliner Lebensart in der Kiezkneipe, als sogenannter „Kiezkneipenbewahrer“.

Weil die zu Berlin gehört. Die Leute können sich am Tresen ausheulen. In der Kiezkneipe gibt es nicht diese kalte Atmosphäre wie bei Starbucks, wo die Leute nur mit dem Handy rumsitzen und tippen. In der Kiezkneipe erlebst du das ganz selten, dass einer mal ein Handy rausholt. Da herrscht eine gemütliche Atmosphäre, es wird Bier getrunken und gequatscht.

Das Kiezkneipensterben ist nur ein Zeichen für den Wandel Berlins. Wie haben Sie die Veränderung der Stadt in den letzten Jahren empfunden?

Als Urberliner mag ich natürlich besonders die Leute mit der klassischen Berliner Schnauze. Es gefällt mir gar nicht, wenn die aus ihren Kiezen rausgedrängt werden. So wie ich was dagegen habe, dass die Kiezkneipen sterben. Ich hoffe, dass die Kneipenkultur weitergetragen wird. Darum fand ich ja die Aktion der Schultheiss-Brauerei zur Rettung der Kiezkneipen gut und habe gern mitgemacht. Irgendwann werden wir die Aktion vielleicht wiederholen, denn den Kiezkneipen geht es jetzt natürlich besonders schlecht.

So wie den Obdachlosen. Denken Sie bereits ans Gänsebratenessen in diesem Jahr und von welchen neuen Nöten Sie dort wohl erfahren werden?

Das Hotel Estrel hat jetzt ja auch eigene Sorgen, insofern liegt momentan alles in den Sternen. Die Obdachlosen tun mir total leid, denn sie sind wirklich hinten angestellt. Wir haben zum Glück etwas Geld zur Verfügung, weil uns einige Menschen etwas vererbt haben. Wir wollen mit dem Geld versuchen, ein Heim mit Schlafplätzen zu eröffnen. Ich wünsche mir, dass mehr für die Obdachlosen getan wird. Es gibt ja Leute, zum Beispiel in Potsdam, die viel Geld für goldene Türme spenden. Ich wünschte mir, dass man mehr für die Menschen geben würde.

Wann rechnen Sie damit, wieder im Olympiastadion live zu singen?

Keine Ahnung, ich warte auch da ab. Ich produziere jetzt erst mal weiter auf Halde Musik und ich male. Mein Galerist Heinrich Walentowksi, über den auch Udo Lindenberg und Otto ihre Bilder verkaufen, kauft ab und an ein Bild von mir. Das hilft auch über die Zeit, da Auftritte nicht möglich sind.

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