polizei­gewalt in frankreich
:

Hannah R.
Eine taz-Leserin erzählt aus Paris
: Endlich dürfen wir wieder ausgehen – voll ins Tränengas

Als bekannt wurde, dass am 2. Juni Parks, Bars und Restaurants wieder öffnen, waren wir natürlich glücklich. So verabredeten wir uns am Abend des 2. Juni in unserer Stammkneipe La Chope du Château Rouge in Montmartre auf der Terrasse – denn zunächst dürfen in Paris nur Bars und Restaurants mit Terrasse öffnen.

So saßen wir zu viert auf der Terrasse, andere Bekannte, die wir seit Monaten nicht gesehen hatten, gesellten sich zu uns. Die Stimmung war ausgelassen und friedlich. Sämtliche Tische und Stühle der Bar standen auf dem Bürgersteig. Auf einer Verkehrsinsel stand ein Sofa.

Gegen halb zwölf kamen einige Leute dazu und sangen. Die Menschen auf den Terrassen begannen einzustimmen. Dann wurde klar, dass diese Leute demonstrierten, und zwar für Adama Traoré, der 2016 bei seiner Verhaftung starb. Die Menschen setzten sich auf die Straße und riefen: Justice pour Adama! Sie riefen auch etwas über die Polizei, der man keinen Glauben schenken dürfe. Doch es gab keine Aggression.

In etwa 50 Metern Entfernung stellte sich eine Reihe CRS-Polizisten in voller Montur auf. Dennoch machte ich mir keine Sorgen. Ich wollte mir eine Zigarette drehen, als ich plötzlich ein rotes Licht und dann noch eines durch die Luft fliegen sah. Die Lichter flogen direkt auf unsere Terrasse zu, und ich wusste nicht einmal, worum es sich handelte, ich hörte nur meinen Freund sagen: „Bleib nicht da sitzen!“ So stand ich auf, meine Freundin neben mir ebenfalls, und wir rannten los.

Ich sah nur noch meine Freundin vor mir, wir rannten die Straße hinunter, hinter und vor mir landeten die Tränengasgranaten. Vor uns stießen die wegrennenden Demonstranten Glascontainer auf die Straße, um den CRS hinter uns den Weg zu versperren. Ich hörte das Glas klirren, dann bildete sich eine weiße Wolke. Ich konnte nichts mehr sehen, nicht meine Freundin, nicht die Gebäude, ich lief ins Leere, die Tränen liefen mir übers Gesicht. Hinter mir riefen Fremde: „Weiterlaufen!“ Ich konnte nicht mehr atmen und wäre fast gegen eine Hauswand getaumelt, bis sich irgendwann die Wolke lichtete und ich meine Freundin wiederfand, der jemand eine kleine Ampulle in die Hand gedrückt hatte, damit wir unsere Augen versorgen konnten. Wir träufelten uns unter Schmerzen die Flüssigkeit in die Augen.

Nach einigen Minuten zurück zu unseren Freunden, die sich in der Bar verschanzt hatten. Wir saßen auf dem Bürgersteig und waren alle völlig perplex. Heute Abend habe ich zum ersten Mal die Bekanntschaft mit Tränengas gemacht. Und warum? Für nichts. Wir saßen einfach nur da, an unserem ersten Abend draußen, und sind mit von Tränengas geröteten Augen nach Hause gefahren.