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: Der Sommer kann kommen

Im Kiosk erwarten uns schon Daggi und Matze, maskiert, aber sichtlich erleichtert

Gute Nachricht für Schwimmbegeisterte: Die Freibäder öffnen! Situationsbedingt mit Einschränkungen, aber: Es kann wieder geschwommen werden. Fröhlich ziehe ich den neuen Badeanzug an, den ich in Erwartung besserer Zeiten (Lockdown-Hamsterkauf) vor drei Wochen bestellt habe, drucke mir eine Karte aus und schwinge mich aufs Rad.

Als ich ankomme, hat sich schon ein Grüppchen Freibadfans am Eingang versammelt und in eine wilde Diskussion mit dem Einlasspersonal verstrickt. Es gab wohl eine falsche Zeitangabe auf der Website, weshalb wir jetzt nicht mehr in den ersten Tagesslot gelassen werden. Die Gruppe ist aufgebracht. Der angestaute Frust über acht Wochen Entzug bricht sich Bahn. Mir fällt die Meldung über den Mann in Rhede ein, der ins örtliche Hallenbad eingebrochen war, weil er die wassersportlose Zeit nicht mehr ausgehalten hatte.

Es darf nur eine begrenzte Anzahl Menschen gleichzeitig in die Becken, aber wie wird das organisiert? Jeder soll die Gelegenheit bekommen, sowohl ins Wasser zu gehen als auch die Liegewiesen zu nutzen, also fünfzig Minuten schwimmen, fünfzig Minuten liegen.

„Ich will aber nicht liegen“, sagt ein Mann vor mir streng. „Was muss ich tun, wenn ich nur schwimmen, aber nicht liegen will?“

Am besten rechtzeitig da sein. Ich ahne, dass es erst mal vorbei ist mit Spontaneität, dass ein Prinzenbadbesuch ein langwieriges, planungsintensives Unternehmen sein wird.

Und jetzt, was tun? Ich eile nach Hause und kaufe mir schnell ein Ticket für den nächsten Slot, bevor alle Plätze weg sind. Dann zurück zum Bad, wo sich schon die 11-Uhr-Schlange gebildet hat: Sportschwimmer*innen, Familien, junge Paare.

Endlich ist es so weit: Die Tore öffnen sich. Wir marschieren an einem Spalier aus freundlich grüßenden Securityjungs vorbei und betreten das jungfräulich leere Bad. Mir ist etwas feierlich zumute. Die Umkleiden und Duschen sind aus Hygienegründen geschlossen, also geht es direkt zu den Becken. Dort herrscht eine ungewohnt hohe Bademeisterdichte. Man schwimmt jetzt in Kreisen. Die Bademeister ermahnen, so nett sie können, die Geis­terschwimmer*innen und fordern sie zum Richtungswechsel auf. Es klappt gut. Niemand rempelt, niemand hängt plaudernd am Beckenrand.

Drüben, im mit Klebeband unterteilten Nichtschwimmerbecken (25 Personen pro Abschnitt), planschen Kleinkinder mit ihren Eltern. Man ertappt sich bei dem Gedanken, dass es so eigentlich auch ganz schön ist, der Lärmpegel niedrig, genug Platz in den Bahnen.

Die Securitys patrouillieren am Beckenrand und achten darauf, dass sich keiner auf den Fliesen sonnt (liegen nur auf der Liegewiese.)

Damit es zu keinen größeren Menschenansammlungen kommt, darf das Bad nur noch in einer Richtung durchquert werden. Man muss also, wenn man vom einen in den anderen Bereich wechseln will, jedes Mal die ganze Runde drehen.

In den Rasen wurden mit roter Farbe Kreise gesprüht, in denen man liegen darf, ein Haushalt pro Kreis. Eine junge Frau in hellgelbem Bikini hat ihr Handtuch einen halben Meter aus dem Kreis gerückt, um nicht im Schatten zu liegen. Was absurderweise sofort ein bisschen illegal aussieht.

Im Kiosk erwarten uns schon Daggi und Matze, maskiert, aber sichtlich erleichtert, dass sie nun doch noch aufmachen dürfen. Man bekommt wie üblich Stullen, Müsli, Pommes oder Fruchtgummi, und, nur heute, sein Gratisheißgetränk zum Saisonbeginn. „Bitte haltet euch an die Regeln“, fleht Matze, „sonst müssen wir gleich wieder dichtmachen.“

Erschrockene Gesichter. Wir wissen, was auf dem Spiel steht. Alle kooperieren, dankbar, dass sie überhaupt hier sein dürfen. Auf den weißen Plastikstühlen vor dem Kiosk ist die Stimmung entspannt: Zeitungsleserinnen mit überdimensionalen Sonnenbrillen. Tätowierte Stammgäste beim Kaffeeplausch. Alles wie immer, nur mit größerem Abstand.

Die Saison ist eröffnet. Der Sommer kann kommen.

Rebekka Kricheldorf