Editorial von Edith Kresta
: Sehnsucht Sommer

Es wird Sommer und die Quarantänebestimmungen in vielen Ländern fallen. Wo verbringen Sie die kostbarsten Tage des Jahres? In Andalusien, an kroatischen Stränden, im Ferienhaus in Dänemark oder auf der gepflegten Nordseeinsel? Die Zeit des Stubenhockers, der Zwangsbesinnung ist vorbei. Was bleibt: die Distanz zu anderen, Auflagen in Hotels, Restaurants und an Stränden, die Angst vor dem Virus.

Der Corona-Lockdown hat alte Sehnsüchte neu geschürt. Wir haben uns umgehört: in der taz und draußen, unter Leuten. Urlaub in Deutschland liegt im Trend. Auto und Ferienwohnungen haben Hochkonjunktur, beides bietet Distanz und Unabhängigkeit. Seit dem 14. Juni können nun 31 europäische Länder wieder bereist werden, für 160 andere Länder gilt weiterhin die Reisewarnung. Einige der Länder, ausgewiesene Urlaubshochburgen wie Türkei und Tunesien, sind darüber nachhaltig verärgert: Tourismus ist ein enormer Wirtschaftsfaktor. Und am Verlust von Arbeitsplätzen und Einkommen verzweifeln vor allem die Beschäftigen am Ende der Hierarchie.

Auf was wir unterwegs und vor Ort achten müssen, wie die veränderten Bedingungen aussehen und wie die Tourismusbranche nach dem Stillstand aufgestellt ist, darüber berichten wir auf diesen 10 Sonderseiten. Wir propagieren eine vereintes Europa auf Schienen, analysieren den neuen Trend zum Unterwegsein mit Camper & Co., den Trend zum Regionalen und geben Verhaltensregeln und Tipps für alle Fälle.

Auch wenn der Philosoph Immanuel Kant Königsberg nie verlassen hat und trotzdem Mensch und Welt erkundete, wie zur Corona-Krisen-Besänftigung häufig zitiert wird – wir sehen das Reisen auch als soziale Errungenschaft, als Welterfahrung, selbst wenn der industrialisierte Tourismus heute klimaschädlich, zerstörerisch, oberflächlich und völlig überhitzt ist. Sehnsucht Sommer nimmt unsere Lust auf Draußensein, Neues, Fremdes, Sonne und Körperlichkeit ernst, trotz des überdrehten, konsumistischen Reisens der letzten Jahre.

Sehen und gesehen werden, mit oder ohne Bauch. Sonne und Wasser prickelnd auf der gebräunten Haut. Zeit zu schauen, träumen, dösen, flirten. Gerade jetzt, wo wir uns auf 1,50 oder 2 Meter Abstand zu anderen menschlichen Körpern halten müssen, uns Plexiglaswände von den anderen trennen, möchten wir spüren. Auch wenn die phlegmatische Körperlichkeit, die an heißen Strandtagen in jede Pore dringt, heute zum Zwecke der Selbstoptimierung wegmassiert, wegtrainiert, wegmeditiert, weggedröhnt wird. Der Sommer ist die Hochzeit der Körperlichkeit und das Gegengift zu Abstandsnormen, die sie erstarren lassen. Wir müssen einfach wieder mal raus!