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berliner szenenNein, keine Zecke zu sehen

Ich habe eine ungewöhnliche Frage“, sage ich, als meine neue Nachbarin die Tür ihrer Wohnung aufmacht. „Könntest du bitte gucken, ob das, was ich auf dem Hals habe, eine Zecke ist? Ich kann es im Spiegel nicht gut sehen und die Apothekerin meinte, da ist was.“

Sie scheint von meiner Frage nicht geschockt, aber ich denke kurz, dass sie „nein“ antworten wird. Doch sie holt ihren Mundschutz und ist sofort am Start.

Meine Nachbarin erzählt, dass sie noch nie einen Zeckenbiss gehabt habe und deshalb nicht sicher sei, ob sie mir helfen kann. „Ich habe eine Lupe“, sage ich und wir gehen zusammen ins Tageslicht des Hinterhofs. Sie schaut sich die Stelle an und meint, da ist keine Zecke.

Wir unterhalten uns und ich erzähle ihr, dass ich einen Balkon habe, und schlage vor, dass wir mal dort bei einem Bier weiter quatschen. Ein paar Tage später, als ich rausgehe, begegne ich ihr zufällig und frage, ob sie am Abend hochkommen möchte, um das angekündigte Bier zu trinken. Sie telefoniert, aber signalisiert mit Gesten, dass sie dabei ist. „Gegen halb neun?“, sie nickt.

Weil wir keine Telefonnummern voneinander haben, klebe ich ein Schild an meine Tür, auf dem „Hier“ und „Klingel kaputt“ steht. Sie klopft an und bringt Sekt und Club Mate mit. Ich freue mich, dass wir keinen Small Talk brauchen. Wir reden zwar am Anfang viel über die Hausverwaltung, aber sie fragt mich nicht: „Was machst du in Berlin?“ Oder: „Wo kommst du her?“

Dann schaut noch eine Freundin von ihr vorbei, mit einem Freund, der ein Hemd trägt und ungefähr fünfmal in fünf Minuten „hervorragend“ sagt. Alles verläuft an diesem Abend nicht ganz ­Corona-konform, aber es ist lustig. Die Gäste meiner Nachbarin gehen gleich wieder, wir machen eine zweite Flasche Sekt auf und stoßen auf uns an.

Luciana Ferrando

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