Dieses latente Bassrumoren

Sengende Hitze, endlose Straßen, verlassene Städte: Ein beängstigendes Setting lotet das Berliner Trio Heads in seinem Album „Push“ aus. Noiserock aus dem Berlin der Gegenwart, über dem das Unheil lauert

Ganz schön düster: das Trio Heads Foto: Basti Grim

Von Jens Uthoff

Es geht los mit tiefen, bedrohlichen Gitarrentönen. Sie klingen, als würden sie aus weiter Ferne kommen, von einem kühlen, apokalyptischen Ort hinüberwehen. Sie wummern vor sich hin, derweil man begreift, dass man sich in einer gottverlassenen Stadt befindet („In months as your street gets deserted“). Gefahr lauert; über der Stadt liegt eine Unheil kündende Stille („Stood still in stifling silence“), wie uns eine dunkle, sonore Stimme im Takt der brummenden Bässe erzählt.

Diese Stimme gehört dem Australier Ed Fraser. Fraser ist Sänger des Berliner Trios Heads, das Ende Mai sein neues Album „Push“ veröffentlicht hat. Das Auftaktstück „Empty Towns“ gibt einen Vorgeschmack, was einen darauf erwartet: ein bleischwerer, durchdringender Sound zwischen Industrial und Noiserock. Musik, die bis ins Detail geschliffen ist. Texte, die auf den Punkt zu dieser Musik passen.

Man könnte es sich angesichts des Geisterstadt-Settings in „Empty Towns“ einfach machen und von einem Corona-Soundtrack sprechen (wobei das Album natürlich weit vor Corona entstanden ist), tatsächlich kommen einem beim Hören eher Industrieruinen in Detroit oder, sagen wir, Berlin-Schöneweide in den Sinn. „Das Thema des Albums ist Verlassenheit“, schreibt Fraser in einer Mail, „die Songs erzählen Geschichten von Orten wie den endlosen Straßen unter der sengenden Hitze Australiens oder unbewohnten, leblosen Städten.“ Die Umgebung während des Produktionsprozesses habe perfekt zum Thema gepasst. „Push“ entstand im Studio der Metalband Kadavar (Produzent war deren Drummer Christoph Bartelt), das auf einem alten Industriegelände im Osten der Stadt liegt. Dort, wo früher Arbeiter auf Schicht gingen, seien sie nun eben täglich ins Studio im alten Lagerhaus gestiefelt, um in acht Wochen das Album einzuspielen, sagt Fraser.

„Push“ ist das dritte Album der Band, die 2014 zusammengefunden hat, nachdem Fraser gerade aus seiner Heimat Aus­tralien nach Berlin gezogen war. Neben ihm bestehen Heads aus Bassist Chris Breuer und Schlagzeuger Nic Stockmann, Letztere kennt man bereits aus anderen Musik-Zusammenhängen. So betreibt Breuer das Label Crazysane Records und spielte schon bei den Prog-Metallern The Ocean, die hierzulande weiterhin völlig unterschätzt sind, Stockmann hingegen ist aktuell auch Schlagzeuger bei der Hamburger Combo Eisenvater, die in Noise-Doom-Sludge-Gefilden unterwegs ist.

Die Heads aktualisieren in den zehn neuen Stücken eindrucksvoll den Noiserock-Stil, der in den frühen Neunzigern eine wichtige Rolle gespielt hat, danach aber wie ein loses Ende der Rockgeschichte herumlag. „Push“ knüpft an die Ästhetik von Gruppen wie Girls Against Boys, The Jesus Lizard oder auch Bluetip und dem Sound von Labels wie Amphetamine Reptile und (zum Teil) Dischord Records an, und das Tolle an dem Album ist, dass Heads, mehr noch als auf ihren beiden vorherigen Alben, auch in der Liga der Genannten spielen.

Einen Masterplan, die Richtung Noiserock einzuschlagen, habe es laut Bassist Breuer nicht gegeben. „Wir kennen und mögen natürlich die genannten Bands, spätestens nachdem wir einige Heads-Reviews gelesen haben“, schreibt er, „aber wir hören alle sehr unterschiedliche Musik und haben nie vorgehabt, uns in irgendeiner bestimmten Szene zu bewegen.“

Dass einem diese Referenzen in den Sinn kommen, liegt allerdings nah. In „Rusty Sling“, einem der Highlights des Albums, hört man einen knarzenden Bass und eine sich in quälenden Schleifen windende Gitarre, und dann ist da sowieso all dieses latente Bassrumoren die ganze Zeit. Auch der tiefe Sprechgesang Ed Frasers erinnert an die große US-Noise-Ära. Wobei es auch in der Wahlheimat der Heads eine nicht ganz so prominente Noiserock-Tradition gibt – man denke an Berliner Gruppen wie Surrogat, 18th Dye oder heute LeVent, bei denen allerdings der Industrial-Anteil nicht so hoch ist.

Für Sänger Fraser ist „Push“ auch ein Berlin-Album, vor allem aber aus dem Grund, dass er sich in den Lyrics den dunklen Seiten der Stadt gewidmet habe. „Berlin ist eigentlich ein wunderbarer Ort. Aber auch definitiv keine einfache Stadt. ‚Push‘ ist entsprechend auch kein einfach zu hörendes Album“, erklärt er.

Corona hat jetzt neben einer abgesagten Tour für die beiden auch dazu geführt, dass sie sich aktuell mehr ihren anderen Projekten widmen. Fraser dreht noch Videoclips (aktuell für die australische Songwriterin Tones And I), und er kümmert sich um sein Soloprojekt. Breuer hat zusammen mit Drummer Stockmann, Felix Gebhard und der argentinischen Saxofonistin Sofia Salvo – mit gehörigem Abstand – an Musik getüftelt. Ein Album will das Quartett Ende des Jahres einspielen.

Die Vorhaben für die Zeit, in der die unmittelbare Seuchengefahr vorbei ist, hören sich dagegen bei beiden recht ähnlich an. Fraser: „Hug all my mates and bandmates“. Breuer: „Masken entsorgen, sauviel knutschen, nie mehr Abstand halten.“ Klingt nach’nem Plan.

Heads: „Push“ (Glitterhouse Records/Indigo)