die woche in berlin
: die woche in berlin

Demokratie soll in Berlin noch direkter werden. Innensenator Andreas Geisels Clankriminalitäts-Strategie geht nicht auf. Und das Kreuz mit dem Kreuz auf der Kuppel und jetzt auch noch der Wippe davor

Die Mitte von Berlin ist markiert

Das Schloss bekommt ein Kreuz – und eine Wippe dazu

Das war durchaus eine entscheidende Woche für die Optik des Schlosses und damit doch auch für das Aussehen der ganzen Stadt, in der seit Freitag einem weiteren Dach ein Kreuz aufgesteckt ist. Es ist das Kreuz auf der Kuppel des Schlosses und damit natürlich heftig umstritten – was im Zuge der Kreuzaufsetzung alles noch einmal hochkam an Debatten, was schon breitest diskutiert wurde vor Jahren, als die Planungen dazu öffentlich wurden.

Aufs Fahrlässigste vereinfacht lässt sich sagen: Die Kreuzgegner meinen, dass so ein christliches Symbol einfach gar nicht gehe, nicht an diesem Ort, nicht in dieser Zeit. Und die Befürworter folgen einer treuherzigen „Wenn schon, denn schon“-Argumentation: dass man bei einer originalgetreuen Rekonstruktion auf das Kreuz an diesem Ort einfach gar nicht verzichten könne, weil das doch geschichtsfälschend wäre. Dabei muss man nur mal um das „originalgetreu rekonstruierte“ Schloss herumgehen und hin zur Ostfassade, wo einem betonbrutalistisch klar gemacht wird, dass der Rest neben dieser modern gehaltenen Wand nur ein Nachäffung von Vergangenheit ist.

Aber man ist der Sache und Debatten auch ein wenig müde. Leise will man meinen, dass das alles zwar im Herzen von Berlin stattfindet, aber doch nur für Touristen, die wieder kommen werden, und einen so nicht wirklich was angeht. Halt ein weiteres Kreuz. Derart mürbe gemacht, möchte man sogar noch den Allerweltssatz hinterherschieben, dass man Widersprüche eben aushalten muss. Weil der Widerspruch auch fest eingebaut ist hier, mit dem Schloss als Hülle und dem Humboldt Forum als Inhalt.

Aber da ist an diesem Ort ja noch mehr passiert diese Woche. Am Donnerstag gab es den symbolisch ersten Spatenstich zum Freiheits- und Einheitsdenkmal auf dem Schlossplatz, vulgo die Wippe. Wie eine riesenhafte Servierschale wird die mal vor dem Schloss stehen, dass es einem um das fast schon wieder leidtun könnte. Soll so hübsch herausgeputzt werden, und dann stellen sie ihm so ein Ding vor die Tür.

Auch um das Einheitsdenkmal ist lang und ausgiebig gestritten worden. Eine jahrelange Schaukelpartie um diese begeh- und bewegbare Erinnerung an die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung. Mal wurde die Planung gestoppt, dann fehlte das Geld, dann hieß es wieder hü. Jetzt kommt die Wippe, selbst wenn sie eigentlich kaum jemandem wirklich gefällt. Aber es ist nun eben so, spätere Generationen können sie dann ja auch wieder wegsprengen, wie man es mal mit dem Schloss an dem Platz gemacht hat, wo das Schloss nun wieder steht.

Die Wippe, meinte der Architekturkritiker Niklas Maak, führe in Verbindung mit dem Schloss zu einer „veritablen Symbolgrütze“. Die muss nun halt ausgelöffelt werden. Also von den Touristen. Und die werden schon ihren Spaß dran haben. Thomas Mauch

Leise will man meinen, dass das alles zwar im Herzen von Berlin stattfindet, aber doch nur für Touristen, und einen so nicht wirklich etwas angeht. Halt ein weiteres Kreuz

Thomas Mauch über das Kreuz auf der Schlosskuppel

Geisels
maue
Bilanz

Als Beleg für Clankriminalität dienen Ordnungswidrigkeiten

Wie steht es eigentlich um die „Clankriminalität“? Dieser recht neuen Verbrechensform, die sich – glaubt man meist reißerischen Medienberichten – wie eine vielköpfige Hydra in Berlin und Deutschland ausbreitet, hatten Politik und Polizei vor knapp zwei Jahren den Kampf angesagt. Innensenator Andreas Geisel (SPD) legte damals einen 5-Punkte-Plan vor, der unter anderem vorsah, im Clanmilieu „konsequent“ auch kleinere Regelverstöße zu ahnden und verstärkt Gewerbe- und Finanzkontrollen durchzuführen. Diesen Montag legten LKA und Innenverwaltung nun ihre erste Jahresbilanz zur Bekämpfung der Clankriminalität vor.

Die ist eher mau. 382 Einsätze hat die Polizei 2019 im Zusammenhang mit Clankriminalität durchgeführt, davon 104 im „Verbund“ mit anderen Stellen wie Ordnungsämtern, Steuerfahndung, Zoll. Im Schnitt zweimal die Woche rückten die versammelten Ordnungshüter also aus – und kontrollierten dabei unter anderem 190 Shisha-Bars, 322 Cafés/Bars, 60 Wettbüros und Spielstätten, 25 Barber-Shops, 11 Juweliere. Dabei wurden 35.000 Euro beschlagnahmt, dazu 31.606 Zigaretten und 554 Kilogramm Wasserpfeifentabak (beides unverzollt), 123 Pkw, 2 Motorräder und 104 Waffen. Es gab 972 Strafanzeigen – davon 428 Drogendelikte, 100 Verkehrsstraftaten, 55 Verstöße gegen das Waffengesetz. Es gab aber vor allem: 5.908 Ordnungswidrigkeitsverfahren, davon 5.398 (sic!) Verkehrsordnungswidrigkeiten und 499 sonstige wie Verstöße nach dem Jugendschutzgesetz, der Preisangabenverordnung, der Gewerbeordnung oder dem Gaststättengesetz.

Kurz gesagt: Bei den Razzien in migrantischen (Klein-)Gewerben kommt vor allem Kleinkram heraus. Straftaten, wie man sie gefährlichen Kriminellen zutraut, kann man dagegen an vier Händen abzählen: Raub 2, Sexualdelikte 2, Eigentumsdelikte 12, Betrug 3, Bedrohung 3. Kein Wunder, dass Geisels Strategie von arabischstämmigen Berliner*innen immer stärker als rassistische Schikane und Einschüchterung empfunden wird.

Denn was Geisel und seine Polizeipräsidentin nicht schaffen: zu erklären, was kleine Verkehrsdelikte und Bagatellen im Gewerberecht mit gefährlichen Clans zu tun haben. Weiterhin hantieren sie in dem Bericht mit Sarrazin’schen Phrasen wie etwa der angeblich „in weiten Teilen der arabischstämmigen Community bestehenden Parallelgesellschaft“. Auch diffuse Verweise auf eine „Ablehnung des in Deutschland vorherrschenden Werte- und Normensystems“ helfen bei der Verbrechensbekämpfung kaum weiter. Denn das ist trivial: Offenkundig lehnen alle Verbrecher, auch deutsche, die Rechtsordnung ab – darum verstoßen sie dagegen. Aber: Was hat das mit dem kleinen Mann auf der Sonnenallee zu tun? Susanne Memarnia

Direkt geht anders

Lange gefeilscht: R2G bessert direkte Demokratie nach

Eigentlich waren sich die drei Regierungsfraktionen schon immer einig. Als sie am Freitag schließlich den Entwurf für ein verändertes Abstimmungsgesetz vorlegten, setzen sie dabei nur jene Verbesserungen für die direkte Demokratie um, die bereits im Koalitionsvertrag Ende 2016 standen: dass Volksentscheide möglichst parallel zu Wahlen stattfinden sollen; dass eine Frist eingeführt wird für die Dauer der Prüfung der Zulässigkeit des Begehrens; dass die sogenannte Trägerin des Begehrens, also die Initiative, im Parlament gehört werden muss, und dass die Initiative zumindest Teile der entstandenen Kosten erstattet bekommt.

Genau das – und nur ein wenig mehr – soll nun umgesetzt werden. Warum aber hat das so lange gedauert? Warum ­wurden viele Volksinitiativen von Rot-Rot-Grün durch eine unverhohlene Hinhaltetaktik ausgebremst? Warum, kurz gefragt, dauert gesellschaftlicher Fortschritt so lange? Die Antwort liegt im Bereich koalitionsinterner Physik mit drei Faktoren: Grüne, Linke, SPD.

Wobei in diesem Fall vor allem die Bremswirkung der SPD zu beachten ist. Denn Grüne und Linke sind sich in vielen innen- und sicherheitspolitischen Fragen nahe. Aber die Sozialdemokraten wollten die Einigung in diesem Bereich mit anderen Gesetzesvorhaben verrechnen, in denen wiederum vor allem Linke und teilweise Grüne bremsten: etwa dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog), einem Lieblingsprojekt von Innensenator Andreas Geisel (SPD). Und so wurde aus einem eigentlich schnell zu präsentierenden Ergebnis bei der direkten Demokratie eine Verhandlungsmasse auf Kosten vieler zivilgesellschaftlicher Initiativen wie „Berlin Werbefrei“ und „Deutsche Wohnen enteignen“.

Damit das nicht ganz so stark auffiel, diskutierte die SPD zwischendurch noch über die Einführung einer Volksbefragung von oben, wie sie etwa im Falle des Brexits Chaos verursacht hat. Eine Idee, die bei Linken und Grünen bekanntlich keine Unterstützung fand.

Langsam aber wurde die Zeit in dieser Legislaturperiode knapp für all die innenpolitischen Projekte, und die Widerstände bei Linken und Grünen wurden kaum geringer, sodass nun peu à peu die Reformen zum Abschluss, sprich in Gesetzesform gebracht werden.

Den Anfang machte der Polizei- und Bürgerbeauftragte; der Entwurf dafür liegt seit einigen Monaten vor; am Freitag kam eben das Abstimmungsgesetz, das nach der Sommerpause in den Ausschüssen beraten werden soll. Für kommenden Mittwoch ist die Präsentation des überarbeiteten Versammlungsgesetzes angekündigt – auch da haben Grüne und Linke den Entwurf bereits abgenickt. Und selbst über das Asog sei man sich letztlich inhaltlich einig, sagte am Freitag Frank Zimmermann, der Chefunterhändler der SPD in diesen Fragen.

Nach einer Einigung allerdings hat es lange nicht ausgesehen; sogar ein Scheitern der Koalition an dieser Frage schien möglich. Vor diesem Hintergrund kann man das Hinausschieben des Beschlusses für die direkte Demokratie für einen Kollateralschaden halten – der alle drei Parteien allerdings viel Sympathie bei den Initiativen gekostet hat. Bert Schulz

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