: Zurück in die Kino-zukunft
Trost für ausgehungerte KinofreundInnen, wenn auch ohne Popcornverkauf: Noch bis zum 3. Juni läuft in Oldenburg das Autokino-Festival. Das Programm kommt vom verdienten Cine K
Aus Oldenburg Wilfried Hippen
Mehr als acht Wochen ohne Kino: für manche Menschen eine echte Qual. Bis nach und nach der Betrieb wieder anlaufen kann, bieten auch im Norden Autokinos eine gewisse Linderung: Zwar sitzen Filmfans da auch noch nicht wieder in einem dunklen Raum, in einer Gruppe von Menschen, die das gleiche kulturelle Interesse verbindet. Und die Bild- und Tonqualität wären in einem normalen Kinosaal wohl sehr viel besser. Doch immerhin gibt es überhaupt wieder Vorstellungen: Ein Film wird von vielen zur gleichen Zeit und ohne Unterbrechungen gesehen – inklusive wenigstens einiger Rituale: der Kauf der Karten, das Platzeinnehmen, das Vorspiel aus Werbespots und Trailern für „kommende Attraktionen“.
Im niedersächsischen Oldenburg geschieht dies auch: auf einem ungepflasterten Parkplatz hinter den Weser-Ems-Hallen, dem derzeit brachliegenden größten Veranstaltungsort der Stadt. Am 21. Mai schon hat hier das Autokino-Festival eröffnet.
Im Programm finden sich etliche schon etwas ältere Kinoerfolge: „Joker“, das Remake von „König der Löwen“ oder auch „Knives Out“. Filme also, die größtenteils auch zuhause angesehen werden könnten: als DVD oder Blue-Ray oder über einen Streamingdienst. Und das wäre zumindest günstiger: 25 Euro je Auto beträgt beim Festival der Eintritts-, oder besser Einfahrtspreis; in jedem Auto dürfen nach Angaben der Veranstaltenden zwei Erwachsene sitzen, dazu „beliebig viele Kinder“, die aber „aus demselben Haushalt kommen“ müssen.
Die bisherigen Vorstellungen waren größtenteils ausverkauft. Es haben sich also jeweils 210 AutofahrerInnen – die meisten mit BeifahrerIn – abends um halb neun in die Schlangen vor den Parkschranken eingereiht. Drinnen dann gilt es zu warten bis zum Sonnenuntergang kurz nach 22 Uhr. Auf einer 16 Meter breiten, acht Meter hohen aufblasbaren Leinwand ist dann der Film zu sehen, der Ton kommt über UKW aus dem Autoradio.
Es ist die seltsame Travestie eines Kinobesuchs, alle sind für sich und dennoch irgendwie gemeinsam am selben Ort. Anderthalb Stunden lang passiert eigentlich nichts, abgesehen von der Endlosschleife aus dem Radio: Willkommenswünsche – und Ordnungsanweisungen. Man kann, ja: man muss sich ansehen, wie es langsam, sehr langsam dunkler wird. Der Sonnenuntergang selbst ist allerdings hinter den Weser-Ems-Hallen verborgen. Snacks und Getränke dürfen beim Festival nicht verkauft werden, am Rand des Parkplatzes stehen ein paar Dixiklos, die aber nicht viel genutzt werden: Nur wenige BesucherInnen verlassen ihre Autos. JedeR der rund 400 Anwesenden sieht an so einem Abend also höchstens ein oder zwei Dutzend der anderen.
Während der Film dann läuft, huschen mal ein paar Gestalten durch Parkreihen und auch schalten einige AutofahrerInnen, wohl eher unabsichtlich, immer mal wieder ihre Scheinwerfer an und aus. Ansonsten wird die Projektion nicht gestört und nach der Vorstellung ist die Ausfahrt so gut organisiert, dass es nun keine Schlangen gibt.
Apropos Organisation: Hinter dem Festival steht das Oldenburger Cine K, ein Zwitterbetrieb aus Kommunal- und Programmkino: Die Programmauswahl und die Struktur mit den zwei Kinosälen – Teil des städtischen Kulturzentrums „Kulturetage“ – wirken stark wie bei einem Kommunalkino. Aber finanziert wird das Cine K eben nicht etwa von den städtischen Kulturverantwortlichen, es arbeitet bislang erfolgreich mit einem etwas anderen Geschäftsmodell, fußend auf den Einnahmen aus dem Kinobetrieb, der öffentlichen Förderung einzelner Projekte und Filmreihen sowie der Unterstützung durch einen Förderverein. Für das Autokino-Festival nun gab es einen öffentlichen Zuschuss von 1.500 Euro – aber zugleich fordert das Tochterunternehmen der Stadt, das den Parkplatz betreibt, 15.000 Euro Platzmiete von den KinomacherInnen.
Weil zudem die Filmverleihe zwischen 40 und 50 Prozent der Einnahmen einfordern, ist die Kalkulation knapp – und ein kleiner Gewinn steht nur in Aussicht, weil das Festival so ein Publikumserfolg ist. Die beiden ersten nicht ausverkauften Vorstellungen haben denn auch damit zu tun, dass das Cine K eben kein kommerzieller Kinobetrieb ist: Die VeranstalterInnen wollten auch im Autokino ihren monatlichen „Queer Monday“ weiterführen und zeigten also vergangene Woche den britischen Spielfilm „Pride“ von Matthew Warchus. Dass die Geschichte um die Solidarität Londoner Schwuler und Lesben zu streikenden walisischen Bergleuten in den frühen 1980er-Jahren den Parkplatz nicht voll bekommen würde, das dürften die ProgrammmacherInnen gewusst haben. Und der Klassiker „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean landete wohl auch eher als Statement für die Filmkunst an sich im Programm.
Bemerkenswert ist, dass ein anderes Oldenburger Kino dem Cine K Konkurrenz macht. Denn auch das „Casablanca“ veranstaltet Autokino: auf dem Gelände der Agrarmesse „Landtage Nord“ im nahegelegenen Wüsting, mit einer kleineren Leinwand, dafür aber 450 Stellplätzen. Dort laufen noch bis zum 1. Juni Arthouse-Filme, die sonst im Casablanca-Saal zu sehen gewesen wären. Es gibt hier sogar tagsüber Vorstellungen sowie einer Sonntagsmatinee um 11 Uhr. Die Projektionen bei Tageslicht sind auf der 80-Quadratmeter-LED-Leinwand möglich – allerdings um den Preis einer erheblich schlechteren Bildqualität. Und kaum einstellen kann sich dort das Open-Air-Kinogefühl, zu dem unbedingt der dunkle Himmel gehört.
Das Oldenburger Autokino-Festival ist so erfolgreich, dass es sogar um drei Tage verlängert wurde: Am 3. Juni endet es nun mit einem „Solidarity Day“. Gezeigt wird der südkoreanische Oscargewinner „Parasite“, und Eintrittskarten dafür können gezielt „verschenkt“ werden an jene, die „immer für andere Menschen da sind und Solidarität üben“ (so formuliert in einem Video auf der Festival-Homepage): Was an diesem Abend erlöst wird, geht an die Hilfsorganisation „Medico International“. Die Tickets sind dabei kostenlos, es wird aber, klar: eine möglichst großzügige Spende erwartet.
Vorher, am 1. Juni, steht dann erst noch ein Film auf dem Programm, der bestens passt in so ein Autokino: Einerseits, weil Robert Zemeckis’„Zurück in die Zukunft“ von 1985 ja eine Zeitreisegeschichte ist. Und die Maschine, die den Helden jene Reise ermöglicht, ist – ein Auto.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen