: Drogen, Schwänze, Bumsen …
RATGEBER Wie schützt man seine Kinder vor den Gefahren der Großstadt – und wie hält man ihre Spießigkeit und ihren Moralismus aus?
VON PETER UNFRIED
Und dann heult mir die Macht auch noch die Ohren voll, dass auf dem Schulhof gekifft wird und Penelope und Adorno unmittelbar vor einer Junkie-Karriere stehen. Dabei ist es in Wahrheit so, dass die schon piefig werden, wenn ihre Mutter mal eine Zigarette raucht.
Adorno schnüffelt dann so durch die Wohnung. „Hast du etwa geraucht?“, fragt er mit seiner inquisitorischen Stimme. Er sorgt sich, dass wieder die ganze Wohnung nach Rauch riecht. Penelope kantet die Macht dann auch gleich frontal an: „Vom Rauchen stirbt man.“ Blablabla.
Ich wollte doch nichts weiter, als eine großartige Familie anzuführen. Was heißt großartig; ich wollte eine normale Familie anführen. Oder was heißt „anführen“: Ich wollte Teil einer modernen Doppelspitze in der Familienführung sein. Wir Eltern waren uns einig, unsere Kinder „zeitgemäß modern“ zu erziehen. Nicht wie diese antiautoritären, linken Schluffis früher, das ist ja gescheitert. Aber vor allem auch nicht so schwäbisch-autoritär wie unsere eigenen Eltern. Unsere Kinder sollten frei leben, frei denken und frei reden – und verantwortungsvoll mit dieser Freiheit umgehen.
Es ist anders gekommen. Ganz anders. Penelope ist 13, militante Vegetarierin, interessiert sich aber sonst nur für Facebook, Topmodels und Duschen. Adorno ist 11, komplett fixiert auf Fußball und weigert sich zu duschen. Fleisch isst er auch nicht. Der Großvater der Kinder ist ein schwäbischer Landmetzger und hält es im Kopf nicht aus. Und ihre Mutter sieht super aus und ist charakterlich top, Duschverhalten normal. Aber es hat schon seinen Grund, sage ich immer, dass sie von allen nur die Macht genannt wird. Und ich sitze hier allein an unserem Familientisch und frage mich, wie alles dermaßen schief gehen konnte. Manchmal könnte man sich fast die Kugel geben. Diese schlimme Über-Ich-Moral. Und die Spießigkeit. Von wem haben die das bloß?
Manchmal raucht die Macht heimlich am offenen Fenster, wenn die Kinder endlich im Bett sind. Aber Adorno macht kurz vor Mitternacht gerne einen letzten Kontrollgang. Angeblich muss er aufs Klo. Dann streckt er die Nase noch mal ins Wohnzimmer und sagt: „Warum ist das Fenster hier offen?“ „Was geht dich das an?“, sagt die Macht, „du solltest längst schlafen.“ „Aha.“
„Nix aha. Geh jetzt endlich ins Bett.“ „Bei dem Rauch kann ich nicht einschlafen.“
Wahnsinnige Spießer. Jetzt ist es aber so, dass Adorno andererseits wieder ziemlich locker mit manchen Phänomenen der Großstadt umgeht, bei denen man denken könnte, er kriegt einen Schaden. Neulich kam er nachmittags von der Schule und kriegte sich fast nicht mehr ein.
„Pu?“
„Adorno?“
„Weißt du was?“
„Ne, was?“
„Grade auf der Straße.“
„Hm.“
„Da war so ein Typi, der hatte den Hosenladen offen und der Schwanz hing raus und da hatte er so ein Pflaster dran.“
„Der hatte ein Pflaster an seinem Schwanz, der ihm aus der Hose hing?“
„Ja, voll eklig.“
Gut. Das ist Berlin. Adorno war auch mehr belustigt als geschockt. Leider war er so begeistert, dass er freiwillig den Metzger anrief, um ihm seine tolle Geschichte zu erzählen. Ich wollte ihn noch stoppen, aber zu spät.
„Pu?“
„Hm.“
„Opa will dich sprechen.“
Oh, no, ich wusste es.
„Hallo, Oddo“, sagte ich.
Er wird „Otto“ geschrieben, aber so heißt kein Schwabe.
„Was isch denn da los?“
„Ach“, sagte ich betont entspannt, „das passiert schon mal.“
„Mecht mer des bei eich so“, fragte der Metzger, „dr Schwanz raushänga?“
„Vermutlich ein Betrunkener.“
Er brummte noch so was wie, dass das doch kein Ort sei, wo Kinder aufwachsen sollten, und dass ich meiner Frau das Rauchen verbieten solle, damit seine Enkel nicht als Halbwaisen aufwachsen müssten. Dann legten wir auf. Ich wusste genau, was er dachte: Wären wir in das Obergeschoss seines Hauses in unserem Heimatort gezogen, könnte das alles nicht passieren. Stimmte ja. Im Grunde wohnten wir ja auch deshalb nicht dort.
„Sag mal, bist du bescheuert“, sagte ich zu Adorno, „was erzählst du denn dem Metzger?“
„Ihr sagt doch immer, wir sollen ihn ‚an unserem Leben teilhaben‘ lassen“, antwortete da Adorno.
„Ja, aber doch nicht, wenn jemand den Schwanz raushängen hat“, sagte ich.
„Wie man es macht, ist es nicht recht“, brummte Adorno.
In dem Moment kam die Macht nach Hause, und Adorno drückte ihr selbstredend sofort seine Story rein.
„Weißt du was“, sagte er. „Auf der Straße war ein Typi, bei dem hing der Schwanz raus und da hatte er so ein Pflaster dran.“
Die Macht bekam ihr besorgtes Gesicht. „Du sollst doch nicht Schwanz sagen“, sagte sie. Und streng zu mir: „Hast du ihm nicht gesagt, dass er nicht Schwanz sagen soll?“ Hatte ich nicht. „Diese Regel ist mir komplett entfallen“, sagte ich.
„Du kannsch vom Ox koi Milch verlanga“, seufzte die Macht.
Meiner Erinnerung nach hatten wir ausgemacht, dass wir mit den Kindern ungezwungen über Sexualität sprechen wollten. Kein offizielles Aufklärungsgespräch oder wie man das früher machte, sondern im Alltag sachlich darüber sprechen, wenn Fragen auftauchen. Ich plädierte dafür, dass wir die Begrifflichkeiten benutzten, die halt benutzt werden. Zum Beispiel: Zu bumsen sage ich bumsen. Entsprechend machte Adorno das auch. Nur nahm es dann überhand.
Wir saßen beim „Tatort“ und es ging in die Richtung und schon sagte Adorno fachmännisch: „Bumsen die? Ich glaube, die bumsen.“
„Die bumsen nicht, die fummeln erst noch ein bisschen“, sagte ich.
Und so weiter. Bis die Macht genug hatte. „Mir wird in diesem Haus zu oft ‚bumsen‘ gesagt.“ „Wie?“ Adorno schaute sie verwirrt an. „Wir drücken uns jetzt hier mal bitte etwas gewählter aus.“ „So, wie denn?“ Wusste sie auch nicht genau. „Wir können ‚Liebe machen‘ dazu sagen.“ „Liebe machen?“ Adorno war entsetzt. „Gut“, sagte die Macht, „dann sagen wir einfach: ‚Sex haben‘.“ „Aber schau dir das doch an“, sagte Adorno und zeigte auf den Bildschirm. „Die haben nicht Sex. Die bumsen. Das trifft es einfach besser.“ Penelope hatte die ganze Zeit geschwiegen. Nun teilte sie mit, dass sie auf keinen Fall „bumsen“ sagen werde. Die Macht schaute sie dankbar an. „Ich sag ‚ficken‘“, sagte Penelope.
Hinweis: Am 1. Oktober erscheint Peter Unfrieds neues Buch „Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen. Wahre Geschichten aus der Familienhölle“ (Ludwig, 14,99 Euro). Es erzählt auf der Grundlage der sonntaz-Kolumne das Drama des modernen Familienlebens.Mit diesem Text endet Peter Unfrieds Kolumne „Neue Ökos“. Welche er künftig schreibt und wie die sonntaz-Kolumnen neu sortiert werden, steht auf Seite 14
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