heute in bremen
: „Den ÖPNV hat es besonders stark getroffen“

Foto: Katja Täubert

Philipp Kosok, 32, ist Sprecher für Bahn und ÖPNV beim Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Interview Teresa Wolny

taz: Herr Kosok, fahren Sie noch Bus und Bahn?

Philipp Kosok: Ja, wie bei den allermeisten ist es aber viel weniger geworden. Nicht, weil ich Angst habe, in die Bahn zu steigen – die meisten Menschen sind sehr rücksichtsvoll – aber viele Wege entfallen, da ich von zu Hause aus arbeite.

Geht es nach den Lockerungen auch für den ÖPNV wieder bergauf?

Man sieht in allen Regionen, dass die Fahrgastzahlen wieder ansteigen, auch wenn sie noch weit entfernt von den Zahlen vor Corona sind. Der Lockdown hat die komplette Mobilität der Menschen in Deutschland getroffen und sich dabei auf die Verkehrsmittel unterschiedlich stark ausgewirkt. Den ÖPNV hat es besonders stark getroffen, es gab Fahrgastrückgänge von 80 Prozent. Das ist für die Verkehrsbetriebe ein riesiges Problem, denn die Ticketeinnahmen sind eine wichtige Finanzierungsquelle. Die Krise hat gezeigt, dass die Betriebe abhängig von diesen Einnahmen sind.

Wie kann man da gegensteuern?

Durch Corona stellt sich erneut eine unbeantwortete Frage: Wie finanzieren wir eigentlich unseren Nahverkehr? Alle sind sich einig, dass ein gut ausgebauter Nahverkehr eine Stadt attraktiver macht. Wenn Verkehrsbetriebe von Insolvenz bedroht sind, weil die Ticketeinnahmen wegfallen, sind damit auch die ganzen ökologischen Ziele einer Stadt bedroht. Das zeigt, dass wir eine zusätzliche Finanzierungsquelle für den ÖPNV brauchen. Wir können uns nicht ausschließlich auf Ticketeinnahmen und Zuschüsse aus Steuergeldern verlassen.

Sondern?

Ein Beispiel wäre eine kommunale Abgabe für den Ausbau des ÖPNV, die sozial gestaffelt werden kann und auch von Unternehmen mitgetragen wird. Ich denke die Zeit ist reif, um diese Diskussion zu vertiefen.

Fahren durch Corona aber nicht auch mehr Menschen Fahrrad?

Das ist schwierig zu sagen, denn dabei gibt es große regionale Unterschiede. Auf lange Sicht kann das Radfahren tatsächlich ein Gewinner der Krise sein – Stichwort Pop-up-Fahrradwege. Problematisch für die Verkehrswende ist aber, wenn sich Berufstätige wieder mehr aufs Auto konzentrieren. Deshalb ist es so wichtig, dass die Verkehrsbetriebe gut durch die Krise kommen und am Ende wieder an das Wachstum und die Fahrgastrekorde vor Corona anschließen können.

Wie kann man dafür sorgen?

Diskussionsreihe der Heinrich-Böll-Stiftung „Öffentlicher Verkehr: Wie geht es dem Rückgrat der Verkehrswende?“, 15 Uhr auf Zoom, Anmeldung unter https://calendar.boell.de/de/civi_register/140837

Dafür brauchen sie die Solidarität der Steuerzahler:innen viel nötiger als die Autoindustrie oder die Lufthansa – denn den ÖPNV braucht es für die Verkehrswende auf jeden Fall.

Wie bekommt man in den nächsten Monaten die Menschen aus dem Auto wieder in die Bahnen?

Die Verkehrsunternehmen selbst haben bereits gut reagiert und das Angebot auch zu Zeiten der Kontaktbeschränkungen in großen Teilen aufrechterhalten. Es war sehr klug, dass da nicht sofort maximal gespart wurde, sondern dass es den Fahrgästen durch die geringere Auslastung erleichtert wurde, Abstand zu halten.

Hat sich dauerhaft etwas geändert?

Die Hygiene im öffentlichen Raum hat stark an Bedeutung gewonnen und das wird bleiben. Die Verkehrsunternehmen werden durch höhere Hygienestandards einen Beitrag zur Eindämmung des Virus leisten. Das hilft auch dabei, das Vertrauen der Fahrgäste zu gewinnen. Auch Bund und Kommunen müssen weiterhin an der Verkehrswende arbeiten und sie finanziell unterstützen.