Arm und trotzdem nicht käuflich

TÜRKEI Die Tageszeitung „Taraf“ legt sich mit den Mächtigen an. Chefredakteur Ahmet Altan wird nun mit dem Leipziger „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ belohnt

AUS ISTANBUL TIMOFEY NESHITOV

Wer zu Taraf will, sollte sich im verwinkelten Stadtviertel Kadiköy gut auskennen. Weder Taxifahrer noch Verkehrspolizisten hier können einem sagen, wo die Redaktion sitzt. Die investigativste Zeitung des Landes wird in einem mäßig beleuchteten Großraumbüro über einem Buchladen gemacht. Auf dem Bürgersteig stehen Sicherheitsleute.

Der Buchladen gehört dem Verlagshaus Alkim, dem Herausgeber von Taraf. Neben Rilke und Tolstoi kann man hier etwa die historischen Liebesromane von Ahmet Altan kaufen, einem der meistgelesenen Autoren der Türkei. Doch in letzter Zeit sorgen eher die Enthüllungsartikel für Schlagzeilen, die drei Stockwerke höher unter seiner Regie entstehen. Vor zwei Jahren, nach dem Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink, gründete der 59 Jahre alte Schriftsteller Taraf, um „die Fragen zu stellen, die die anderen Zeitungen sich nicht zu stellen trauen“. Keine andere Zeitung hat seitdem so mutig die Machenschaften des mordverdächtigen ultranationalistischen Geheimbunds Ergenekon durchleuchtet, dem auch hochrangige Militärs angehören sollen.

Kritik am Militär ist in der Türkei ein Tabubruch. Und den hat Taraf zur Redaktionsroutine gemacht – ein Grund, warum gegen die Redaktion derzeit über 100 Strafverfahren laufen. Es war Taraf, die im Sommer die Putschpläne gegen die Regierung Erdogan auf die Titelseite holte. Der Generalstabschef schäumte, Taraf entgegnete mit einer weiteren Enthüllung: Der Tod von vier Soldaten bei einer Granatenexplosion im August soll kein Unfall gewesen sein, sondern Mord.

Auch der konservativen AKP-Regierung schaut Taraf genau auf die Finger. Die Bemühungen um den EU-Beitritt werden honoriert, Erdogans Einknicken vor der Armee scharf kritisiert. Taraf setzt sich für das Recht der Muslime ein, an den Universitäten Kopftuch zu tragen, wie für das Bürgerrecht, als Atheist zu leben.

„Unsere Leser wissen, dass wir wirklich unabhängig sind“, sagt Chefredakteur Altan. Hinter allen großen Blättern in der Türkei stehen mächtige Wirtschafts- und Medienkonglomerate oder religiöse Gemeinschaften. Dass hinter Taraf ein kleiner Buchverlag steht, befreie, sagt Altan, in den 90er-Jahren Kolumnist bei Milliyet, aber es bringt auch finanzielle Probleme mit sich. Die 80 Mitarbeiter warten seit zwei Monaten auf ihr Gehalt, die renommierten Kolumnisten arbeiten für einen Bruchteil der Honorare etablierter Medien.

Taraf druckt so gut wie keine Anzeigen, den meisten Unternehmen ist die Werbeplattform zu heiß. „Man will uns finanziell austrocknen“, sagt Altan. Dem Blatt wurde prophezeit, es würde die Zeitungskrise nicht überleben – doch Taraf steigerte die Auflage. Von 4.000 auf über 50.000 Exemplare. Auch 100.000 hält Altans Stellvertreterin Yasemin Congar für möglich. Das weckt Neid und Misstrauen bei der Konkurrenz. Hinter Taraf stünde „islamisches Geld“, witterte ein Kolumnist. Congar, die den Ramadan nicht einhält und in deren Büro ein Aktbild hängt, unterdrückt ein Lächeln: „Klar, von George Soros werden wir auch durchgefüttert. Und die CIA nicht vergessen!“

Am Donnerstag wird Chefredakteur Ahmet Altan neben zwei Kollegen den „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ der Leipziger Sparkasse entgegennehmen. Er hofft, so die Aufmerksamkeit eines westlichen Sponsors zu wecken. Doch eins stellt Altan vorweg klar: „Wir werden uns in keinerlei redaktionelle Abhängigkeit begeben!“