Altes Leid mit altem Kleid

Gebrauchte Klamotten wegzuschmeißen, ist erstens unökologisch. Und auch noch unsozial: Von Altkleidersammlungen profitieren Obdachlose in Hamburg ebenso wie Arme in der Dritten Welt

von Anne Grüneberg

Das Thema weckt Emotionen: „Altkleider sind immer noch ein Wertstoff“, ärgert sich Anne Wilcke über die Wegwerfmentalität vieler Hamburger. Dabei könne mit den ausrangierten Klamotten noch so viel gemacht werden. Zum Beispiel, indem sie in die Textilrecycling-Firma Wenkhaus gebracht werden, deren Mitarbeiterin Anne Wilcke ist.

Fünf bis zehn Cent zahlt Wenkhaus Privatpersonen pro Kilo Textilien. Viel sei das nicht, räumt Wilckes Kollege, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ein. Dafür ökologisch: „Wenn Sie die Altkleidung stattdessen in den Müll schmeißen, wird sie verbrannt, und das schadet unserer Umwelt.“ In seinem Betrieb werden die Textilien, die größtenteils aus nicht-staatlichen Sammelbehältern stammen, zunächst sortiert. Untragbares wandert nach Italien, wo daraus Fleecestoffe, Füllmaterial für Autopolsterung, Dachpappe oder Schreibpapier wird. Profitabler allerdings sei der Weiterverkauf tragbarer Kleidung an Großhändler in Chile, Hongkong oder mehreren westafrikanischen Staaten.

Ein „zweischneidiges Schwert“, findet Ute Dilk von Brot für die Welt. Einerseits hätten die Einheimischen häufig nicht genug Geld, um sich Neuware zu kaufen. Doch „der Export von Altkleidern schadet der Textilindustrie in Dritte-Welt-Ländern“, sagt Dilk. „Uns ist es ein Anliegen, die Wirtschaft der betroffenen Länder anzukurbeln.“ Der Wenkhaus-Mitarbeiter hält dagegen: „Man muss auch den Aspekt berücksichtigen, dass ein Kilo angebaute Baumwolle in Afrika 150 Liter Wasser im Jahr verbraucht“, sagt er.

Zudem würden häufig Katastrophengebiete beschickt, in denen Kleidung „dringend und zu günstigen Preisen benötigt wird“. Bei Bedarf auch hiesige: Textilrecycling-Betriebe sind verpflichtet, ein Katastrophenlager für den Ernstfall in Deutschland zu unterhalten. Bei Wenkhaus sind das 20 Tonnen Textilien, davon müssen 30 Prozent Decken sein, 15 Prozent Oberbekleidung und 15 Prozent Hosen. „Ich finde das schon sinnvoll“, meint der Mitarbeiter, „es ist aber auch eine Belastung, weil wir die Lagerkosten tragen müssen.“

Der soziale Aspekt spiele sowieso eine besondere Rolle: Die Firma achte darauf, dass die Containerbetreiber, von denen sie ihre Textilien kauft, das Geld Hilfsbedürftigen zugute kommen lassen. So werde in Wandsbek der Erlös der Altkleidersammlung der Kreuzkirche beispielsweise in einen Kindergarten investiert, die Christuskirche finanziert mit dem Kleidergeld Essen für Obdachlose.

Sammelcontainer finden sich in ganz Hamburg, immer auf Privatgeländen, weil die Stadt grundsätzlich keine Erlaubnis für die Aufstellung auf öffentlichem Gebiet erteilt. Ob da auch schwarze Schafe sammeln, lässt sich auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennen. „Entweder ist es Glück oder Wissen“, räumt der Wenkhaus-Mitarbeiter ein. Selbst die Stadtreinigung, an deren 15 Recyclinghöfen auch Textilien angenommen werden, kann nicht sagen, was damit letztendlich passiert. Die Weiterverwertung wie auch die wöchentlichen Straßensammlungen seien an Fremdfirmen übergeben worden, sagt Sprecher Reinhard Fiedler.

So verfährt auch das Deutsche Rote Kreuz. Die Mehrzahl der über 100 Container, die das DRK in Hamburg aufgestellt hat, werden gegen Bezahlung von Recyclingfirmen geleert – und „dieses Geld kommt Projekten des DRK zugute“, sagt dessen Sprecher Rainer Barthel. Lediglich der Inhalt der Behälter vor den DRK-Kleiderkammern wandert auch direkt dahin. Solche Kleiderspenden sollten daher gewaschen und vor allem in gutem Zustand sein, appelliert Barthel.

Darum bittet auch Holger Hanisch vom Cafée mit Herz, denn Reinigungskosten sprengten das Budget. Die Einrichtung in der Seewartenstraße 10 nimmt montags bis samstags von 12 bis 18 Uhr Altkleider für Obdachlose an. Benötigt würde vor allem robuste Kleidung. Und, ganz dringend, Unterwäsche und Socken. Doch die, weiß Hanisch, spendet leider kaum jemand.