Vorläufiger Waffenstillstand

Auf Bundesebene streiten sich Ärzte und Krankenkassen um die Kosten für Medikamente. In Hamburg hat man sich schon geeinigt – in einer bundesweit einmaligen Vereinbarung, die den verschreibenden Mediziner in die Verantwortung nimmt

Von Elke Spanner

Nur in Hamburg herrscht Ruhe. Während im Bund erneut Krankenkassen und Ärztevertreter um die Begrenzung von Arzneimittelkosten ringen, wähnen sich diese Streitparteien in der Hansestadt bereits auf dem richtigen Weg. Denn hier ist seit Beginn des Monats eine Vereinbarung in Kraft, die den Ärzten Vorgaben bei der Verschreibung von Medikamenten macht und es den Krankenkassen ermöglicht, den tatsächlichen Arzneimittelbedarf zu prüfen. „Wir erhalten auf diesem Weg eine klare Aussage über die objektiven Verordnungs-Notwendigkeiten“, erklärt Dieter Bollmann, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH). An der Elbe werde bald „Schluss sein mit Milliarden-Vorwürfen, die niemand nachprüfen kann“.

Solche hatte am Vortag in Berlin Eckart Fiedler erhoben, Chef der Barmer Ersatzkasse. Nachdem die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände errechnet hatte, dass die Kosten für Medikamente im ersten Halbjahr 2005 um 20,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind, hat Fiedler die Politik zur Kostensenkung per Gesetz aufgefordert. Gespräche zwischen den Streitparteien selbst sind am Mittwoch gescheitert (taz berichtete).

In Hamburg indes ist man sich schon im Frühjahr einig geworden. Auch hier sind die Arzneimittelkosten gestiegen, wenn auch nur um 17,1 Prozent. Die Gründe für den Anstieg sind laut Tanja Schilling, Sprecherin der Hamburger AOK, vielfältig: Im ersten Halbjahr 2004 sind weniger Patienten zum Arzt gegangen, weil sie durch die Gesundheitsreform verunsichert waren. Zudem hatte die Bundesregierung im Zuge der Gesundheitsreform die Pharmaunternehmen verpflichtet, den Kassen Rabatte auf Medikamente zu gewähren. 2004 waren das 16 Prozent Preisnachlass, in diesem Jahr sind es nur noch sechs Prozent. Das heißt: Die Medikamente sind 2005 wieder teurer geworden. „Da wurde erst einmal die Notbremse gezogen, um die Kosten für die Kassen schnell zu senken“, erklärt Barbara Heidenreich, Sprecherin der KVH. „Mehr aber auch nicht.“

Um das Problem zu lösen, hat die KVH mit den Kassen die „indikationsbezogene Zielvereinbarung“ getroffen. Diese gibt den Ärzten vor, wieviel Arznei sie pro Patient und Krankheitsbild verordnen dürfen. Parallel sind die Mediziner aufgefordert, bei der Auswahl der Präparate auf den Preis zu achten: Generika (Nachahmerpräparate) sind oft billiger als das Medikament des ursprünglichen Pharmazeuten. Andersherum werden Arzneimittel auf den Markt gebracht, die keinen neuen Nutzen bringen – aber höhere Kosten.

Damit die Ärzte künftig neben den Wirkstoffen auch deren Preise kennen, bietet die KVH ihnen Beratung an. Und empfiehlt, diese auch in Anspruch zu nehmen. Sonst wird es teuer – für den Arzt. Überschreitet ein Mediziner nämlich die Vorgaben um 25 Prozent, wird er persönlich dafür zur Verantwortung gezogen. Er muss dezidiert darlegen können, warum er mehr oder teurere Medikamente verordnet hat – und wird in Regress genommen, falls ihm der Nachweis medizinischer Notwendigkeit nicht gelingt. „Jeder Arzt“, fasst es KVH-Sprecherin Heidenreich zusammen, „ist selbst verantwortlich für das, was er tut.“ Bisher musste der Berufsverband, die KVH, mit den Kassen nachverhandeln, wenn das Budget der Hamburger Mediziner überzogen war.

Über die Kontrolle der Verschreibungspraxis hoffen beide Seiten auch ein zuverlässiges Bild des tatsächlichen Arzneimittelbedarfes zu bekommen, um künftige Budgetverhandlungen auf fundierterer Grundlage führen zu können. Heidenreich erwartet, dass damit die Streitereien zwischen der örtlichen KV und den Kassen „ein Ende haben werden“. Auch der Sprecher der Landesgeschäftsstelle der Barmer Ersatzkasse, Wolfgang Klink, äußert sich anders als sein Chef im Bund: „Hier ziehen jetzt alle an einem Strang.“