ein brief an einige leserInnen
: Beobachtungs­stärker denn je

Die taz bekommt aktuell sehr viele Zuschriften ihrer Leser:innen – freundliche, doch auch solche, die Nervosität zeigen. Gut so!

:

Jan Feddersen wurde 1957 in Hamburg geboren. Dort begann er als Volontär bei der taz und ist ihr bis heute – inzwischen aber in Berlin – als Redakteur für besondere Aufgaben erhalten geblieben.

Von Jan Feddersen

Als Redaktion erhalten wir seit vielen Jahren viel Zuspruch, ja, manchmal sogar Liebeserklärungen. Wenn es euch nicht gäbe! Wäre eine Redaktion ein einzelner Mensch und hätte ein Antlitz, würde es, hörte er diesen Satz, vor Demut erröten. Ja, tatsächlich ist unser ganzes Haus – mal mehr, mal etwas weniger – erfüllt von einem Selbstbewusstsein, eben nicht abhängig zu sein von einem Konzern, von übergeordneten Gremien oder von einer Zentrale, die die Leitlinien vorgibt. Die taz ist die taz – und schreibt, was sie für richtig hält. Was aber nichts daran ändert, dass wir unsere Kolleg:innen in Schutz zu nehmen haben, wenn uns Post erreicht, in der von der hierzulande „gleichgeschalteten Presse“ die hässliche Rede ist.

Die Wahrheit, wie wir sie wahrnehmen, ist: Selbst nerdige Blättchen ganz rechts oder ganz links sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Davon abgesehen, dass der Terminus „gleichgeschaltete Presse“ totalitären und tödlichen Verhältnissen wie unter dem Nationalsozialismus vorbehalten bleiben sollte. Dass die über­regionalen Medien, auch die taz aktuell durch einen sehr klugen, weil fein recherchierten Text unseres Kollegen Erik Peter unter dem Titel „Alu mit Bürgerrechtsfassade“ (https://taz.de/Koepfe-der-Corona-Relativierer/!5681132&s=erik+peter/) die Demonstrationen wider die Corona-Bewegungseinschränkungen kritisch hinterfragen, ist noch kein Hinweis auf Gleichgeschaltetheit: womöglich nur eine auf die Bizarrität der pseudotapferen Grundrechtshüter im Aluhütespektrum selbst.

Das allerdings heißt nicht, dass die taz zu den Grundrechtseinschränkungen intern nur eine Auffassung hätte: Aber die einen sagen so, die anderen so. Wie es zu einer Zeitung eben gehört, die auf ihre Meinungspluralität zu Recht eine Menge hält. Nur bleibt uns als taz-Redaktion eben nicht verborgen, dass in der Bundesrepublik kein demokratie- und partizipationseinschüchterndes Klima wie momentan in Ungarn oder Polen herrscht. Es kommt eben immer auf das Framing an – und wenn Landespolitiker in Nordrhein-Westfalen (Armin Laschet), Baden-Württemberg (Winfried Kretschmann) oder Rheinland-Pfalz (Malu Dreyer) darauf dringen, dass die Grenzen etwa zu Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden oder Belgien wieder geöffnet werden sollen, weil EU eben wenigstens Schengengrenzenfreiheit heißt, dann ist das noch lange keine imperiale Strategie, sondern eine Idee, die viel mit Nachbarschaft zu tun hat und die die in diesen Bundesländern tonangebenden Politiker:innen unbedingt ernst zu nehmen haben – und die taz dies zu registrieren und zu berichten.

Die taz muss eben berichten, was ist. In Zusammenhänge bringend, erläuternd, analysierend. Ob in ökonomischer Hinsicht oder aus jenen Perspektiven, die oft übersehen werden. Erreichen uns Briefe, die uns eben für diese journalistische Arbeit am Gründlichen danken, sind diese wie Supersmoothies für die Seele – für die aktuell dann doch überarbeiteten Menschen in der Redaktion.

Ebenso sind sich alle in der Redaktion vollkommen im Klaren darüber, dass „Corona“ politisch alles überstrahlt, meist sogar zu Unrecht. Fragen des Klimawandels etwa, sie haben ein viel zu geringes Gewicht. Aber das liegt nicht an uns, das liegt ausschließlich an dem, was die Pandemie an Angst stiftet. Etwas kühler formuliert: Wie gern würden wir journalistisch aufbereiten, dass „Corona“ nur eine Erfindung sei und in Wahrheit nur eine sich erratisch verbreitende Art der Grippe. Allein: Die Bilder, die wir recherchieren, besagen, dass „Corona“ eben nicht zu unterschätzen ist, im Gegenteil.

Wir als taz-Redaktion bilden uns insofern Tag für Tag eigene Urteile – unabhängig von Interessen, die an uns herangetragen werden. Das gilt auch für Anzeigen, für die Platz in der Zeitung und auf taz.de gekauft wird. Eine Leserin beschwerte sich Anfang der Woche über die doppelseitige Annonce eines Motorenölherstellers. Muss diese in der taz sein?, fragte sie etwas giftig. Wir sagen: Das Geschäft unserer Kolleg:innen in der Anzeigenabteilung ist das eine, das andere, als Redaktion sich nur über die Erlöse zu freuen: Stärken diese doch die redaktionelle Arbeit, die auf keinen Konzern, auf keine Firma – und schon gar nicht auf eine solche aus der Autoölbranche Rücksicht nimmt: Die getrennten Bereiche – Anzeigen und Redaktion – leben gut mit- und unabhängig voneinander. Darin sind sich, allen Meinungsunterschieden zum Trotz, alle seit Gründung dieser Zeitung so einig wie über nichts sonst.