die taz vor elf jahren über neue dimensionen rechter gewalt
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Welche Grenzüberschreitung wird es an diesem Wochenende sein? Womit wird die rechte Szene dieses Mal schockieren? Und welche Polizeipanne dürfen wir am Montag vermelden – solange bis die neue Woche eine neue beschert. Seit Monaten geht das schon so: Die Kette der rechten Gewalttaten und Provokationen reißt nicht ab, sondern verdichtet sich. Die Szene sucht nach immer neuen Eskalationen und triumphiert, wenn wieder einmal der medienwirksame Coup gelingt. Die Steine und Pöbeleien in Buchenwald waren der bisher gezielteste Tabu-Bruch in dieser Kette. Zeichen dafür, daß Alkohol zwar den Verstand wegspülen kann, nicht aber den Instinkt für größtmögliche politische und menschliche Verwundbarkeit. Zeichen aber auch, daß die rechtsradikale Szene längst nicht mehr um heimliche Akzeptanz der Gesellschaft buhlt. Sie sucht den offenen Bruch mit ihr.

Weniger öffentlichkeitswirksam bricht die radikale Szene jedoch mehr und mehr auch mit den eigenen ungeschriebenen Gesetzen. Ihr Terror richtet sich längst nicht mehr nur gegen Menschen anderer Hautfarbe und Nationalität, auch nicht mehr nur gegen die Schwächsten der Schwachen – gegen Obdachlose und Behinderte. Das rechte Faustrecht kann jeden treffen, vorausgesetzt, er ist gerade in der Minderzahl. Seit Wochen schon terrorisieren alkoholisierte Skin-Gruppen die Besucher von brandenburgischen Badeseen. Neonazi-Gruppen marodieren von Campingplatz zu Campingplatz, Reichskriegsflagge und Horst-Wessel-Lied immer voran.

Mit ihrer Kriegserklärung gegen alles und jeden verlieren die rechten Schläger zwar den letzten Rest ihrer diffusen politischen Legitimation, doch weniger gefährlich sind sie dadurch nicht, nur unberechenbarer. Der staatlichen Kontrolle droht die Szene endgültig zu entgleiten.

Manch ausländischem Opfer von rechter Gewalt mag es stille Genugtuung sein, wenn nun auch die Deutschen zu spüren bekommen, wen sie da in ihrer Mitte herangezogen haben. Nur sicherer wird dadurch kein Asylbewerberheim und auch kein Kebabstand. In einem Punkt jedoch könnte die neue Dimension der Gewalt für ihre Urheber zum Bumerang werden. Was die grölenden Möchtegernführer da veranstalten, könnte endlich als das begriffen werden, was es ist: ein gesamtgesellschaftliches Problem, das alle angeht und dessen Lösung man nicht der Polizei überlassen kann. Wer will schließlich schon unter Polizeischutz baden gehen?

Vera Gaserow, 30. 7. 1994