wortwechsel
: Riesenaufgabe: Corona und die Klein(st)en

Die „Coronaferien“ in Kitas, Kindergärten und Schulen sollen langsam beendet werden. Stress im Homeoffice, gefährdete ErziehungshelferInnen – und wie geht‘s den Kindern?

Gerüstet für die Welt: Spiderman made in Berlin, April 2020 Foto: Karsten Thielker

Was ist der Preis?

„Deine Mutter kann sich nicht an Hygieneregeln halten“, taz vom 12. 5. 20

Ich bin dafür, alle verängstigten und gefährdeten Menschen besonders zu schützen. Ich finde es sinnvoll, dass wir derzeit ganz besonders auf Hygiene und Abstand zu (fremden) Personen achten. Doch wenn ich an die Kinder denke, stelle ich mir immer wieder eine Frage: Wie weit soll das gehen? Starre Kontaktverbote, die in keiner Weise die Bedürfnisse von Kindern berücksichtigen. Abstandspflicht, die sogar auf Spielplätzen von Eltern durchgesetzt werden soll. Zusammen einen Sandkuchen backen oder Verstecken spielen mit zwei Metern Mindestabstand? Beim Spielen kommen sie sich nahe und lassen auch mal den besten Freund/die beste Freundin von ihrem Keks abbeißen. Was wäre das für eine Welt, in der wir solches Verhalten unterbinden? Von unseren Kindern zu erwarten, ängstlich auf Abstand von ihren lieben Freunden zu gehen, kommt meiner Ansicht nach einer kollektiven Traumatisierung von Kindern gleich. Wie offen wird ein Kind der „Coronageneration“ später mit Nähe und Distanz umgehen, wenn Corona schon lange vorbei ist? Werte wie Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit bekommen einen bitteren Beigeschmack. Corona, so scheint es, ist größer geworden als wir alle und fungiert als Totschlagargument. Aber was ist der Preis? Damit gewöhnen wir unseren Kindern ab, neugierig, spontan oder mutig zu handeln, um ihnen beizubringen, dass bei jeder Gelegenheit Strafe und Gefahr lauert. Judith Egetenmeier, Rutesheim

Nicht nur Kleinfamilien

„die dritte meinung: Radikale, neue Modelle als Alternative zur Hetero-Kleinfamilie fordert Alicia Schlender“, taz vom 4. 5. 20

Alicia Schlender hat einen wichtigen Text geschrieben. Corona spitzt einiges zu, sodass vielen, die gerade zwischen Kinderbetreuung und Homeoffice zerrieben werden, die Überwindung der isolierten und isolierenden Kleinfamilienexistenz plötzlich nur allzu plausibel erscheinen wird. Der Appell der Autorin ist richtig.

Es gibt einige gute Gründe, die dafür sprechen, das 200 Jahre alte Modell Kleinfamilie durch erfüllendere Lebens­konzepte zu ersetzen. Gleichwohl zeigen vergangene wie auch aktuell gelebte Erfahrungen von kollektivem Leben mit Kindern, dass es weit mehr braucht als nur die Bereitschaft, „gelernte Vorstellungen von Familie zu hinterfragen und neue zu entwickeln“, wie Schlender schreibt.

Das zeigt sich in vielen persönlichen Erfahrungsberichten von Eltern und Nichteltern, die in alternativen Familienmodellen teilweise krachend gescheitert sind, teilweise aber auch unter Anstrengungen die Utopie eines glücklichen Lebens in Gemeinschaft meistern. Nachzulesen zum Beispiel in unserem blog www.linkslebenmitkindern.org

Und aus der Sicht der Kinder? Dass Kinder viel zu gewinnen haben, wenn sie nicht in der Kleinfamilie aufwachsen, war schon vor Corona wahr, wird jetzt aber offensichtlich: Ein Leben in WGs mit mehreren Ansprechpartnern schützt Kinder vor der Ungeduld der erschöpften Eltern. Denn die Alltagsbewältigung mit (Vollzeit-)Erwerbsarbeit plus Kindern ist auch schon so unglaublich anstrengend – in einer Gesellschaft, in der Kinder das Privateigentum und das Privatproblem von

maximal zwei Eltern sind.

Almut Birken, Nicola Eschen, Leipzig

Homeschooling

Fragen an die Videokonferenz

Liebe taz, manchmal erweckt die Berichterstattung den Eindruck, die Videokonferenz wäre quasi Nonplusultra und Krönung des Homeschooling. Das ist nicht unbedingt der Fall. Wenn es darum geht, individuelle Rückmeldung zu geben, ist die Lernplattform überlegen. So intensiv wie jetzt kann ich mich im Klassenraum nie mit den einzelnen Schülerbeiträgen beschäftigen. Die Lösungen einiger Klassenmitglieder kann man oft sogar besser verbreiten als – mangels Dokumentenkamera – im Klassenraum. Schwach ist die Homeschooling-Situation insbesondere in drei Punkten: Das Miteinander gibt es quasi nicht mehr. Ich als Lehrer bekomme nur mit großer Zeitverzögerung mit, wo es bei den Schüler:innen hakt. (Ich glaube nicht, dass hier die Videokonferenz hilft.) Und: Gemeinsam einen Lösungsweg erarbeiten ist schwierig.

Genauso wie das Sellerieschnitzel Ausdruck der Vorstellung ist, man müsse einem Vegetariermenü einen Fleischersatz anbieten, ist die Videokonferenz leider nur ein Surrogat für den Klassenraum. Man muss hier neu denken und sich gut überlegen, wann andere Ansätze sogar besser zum Ziel führen.

Wulf-Henning Steffen, Dänischenhagen

Lösung: Klassenfahrt!

„Über allem lauert das Coronavirus“,

taz vom 7. 5. 20

Die älteren Kinder sind seit Wochen von ihrer Peergroup abgeschnitten. Also – schickt die Kinder auf Klassenfahrt! Damit ist kein „Sommercamp in den Ferien“ gemeint, um versäumten Schulstoff nachzuholen, sondern ein Schul-Neustart, der sowohl eine sinnvolle Pandemiemaßnahme ist als auch den Jugendlichen zugute kommt: Die Kids werden aus ihrer wochenlangen Smartphone-Kauerstellung herausgerissen, beleben ihre Klassengemeinschaft neu, und die begleitenden (vorzugsweise jüngeren) Lehrer können schon mal anfangen, wieder zu unterrichten (und nach dem Abendessen mit den Schülern über neue digitale Unterrichtsformate plaudern). Das Beste: Die unvermeidbaren Viren kursieren nur innerhalb der – möglichst ländlich abgelegenen – Herberge, die Infektionskette endet noch während des Aufenthalts an Ort und Stelle. Ja, es ist nur eine Idee. Bevor sie ein Plan werden kann, müssen selbstverständlich alle Details durchdacht werden: Tests, Begleitlehrer, Notfallplan. Die Schärfe der Krise macht es allemal notwendig, auch unkonventionelle Ideen zu verfolgen. Übrigens würden jede Menge Herbergsbetriebe, die momentan auf staatliche Hilfe angewiesen sind, ganz nebenbei vor dem Ruin gerettet. Unsere eigenen Kinder, deren ursprünglich geplante Klassenfahrt natürlich ins Wasser fiel und die sich seit Wochen in die Schule zurückwünschen, finden die Idee schon mal super. Susanne Topitsch, München