Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Die große ganze Welt-Fatamorgana

Foto: Roberta Sant'anna

Die psychische Herausforderung ist ja, dass man gar nicht weiß, wann es wie genau weitergehen wird und wann es vorbei ist“, sagt der schnittige junge Mann, mit blauem Hemd und gelber Krawatte, der in der Apotheke vor mir steht, zum Apotheker.

Der ältere Herr nickt freundlich und füllt grüne Einwegmasken in eine Papiertüte mit dem großen roten Apothekenzeichen drauf. Dann zählt er, mit seinen, in feines Gummi gehüllten Fingern, noch einmal nach.

„15 Stück, alle drin.“ Er lächelt fromm.

„15, die Zahl der Hoffnung, ich hab da mal den Wunsch Vater des Gedanken sein lassen. Es gab Gerüchte über das magische Datum, am 15. Mai käme endlich die große Entspannung.“

„Das ist ein Freitag!“, ruft die Frau hinter mir, „ich glaub nicht, dass die an einem Freitag lockern, wenn, dann lockern die an 'nem Montag.“

„Sie wissen da auch nicht mehr, oder?“, fragt der junge Mann den Apotheker mit zittriger Panik in der Stimme.

Der Apotheker zuckt die Schultern und setzt ein liebevolles Gesicht auf:

„Es ist doch alles schon recht locker. Was fehlt Ihnen denn so dringlich?“

„Na, einfach zu wissen, wie alles weiter geht, so wie sonst auch. So 'ne gewisse Grund-Sicherheit.“

„Sicherheit ist immer 'ne Fatamorgana im ganzen Leben!“, ruft die Frau hinter mir.

Der junge Mann sagt:

„Aber man kann sonst schon planen im Leben und sich emotional drauf einstellen.“

„Es kommt nie genau so, wie man denkt!“, ruft die Frau und der junge Mann sagt:

„Würd ich nicht sagen, also bei mir ist bis jetzt, also bis Corona, alles genau so gelaufen, wie ich wollte und geplant hatte. Studium, Job, Einkommen, Traumfrau, Traumkinder.“

„Na Wahnsinn“, sagt der Apotheker, „das kann ja nun kaum einer von sich sagen. Da sollten Sie vielleicht einfach mal happy sein und im Quadrat springen. Oder haben Sie jetzt finanzielle Not?“

„Nein, gar nicht, es hat sich nichts groß geändert, wir können nur keinen Strandurlaub im Süden machen.“

„Dann versteh ich nicht, warum Sie so beunruhigt sind.“

„Na, einfach, weil nicht klar ist, wann es wie weitergeht, so das große Ganze, das Weltganze. Ist in ihrem Leben nicht mal was genau so gelaufen, wie sie es geplant hatten?“

„Eher selten. Na und?“

„Wollten Sie immer schon Apotheker werden?“

„Nein.“ Er verschränkt die Arme.

„Was dann?“

Er schüttelt den Kopf, seufzt und sagt:

„Nicht ihr Psychotherapeut.“

„Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht belästigen, ich dachte ja nur, als Apotheker hat man vielleicht Insiderwissen.“

„Junger Mann!“, ruft die Frau, „Meine Maske drückt und ich hab noch was zu erledigen!“

„Ja, bitte entschuldigen Sie alle, ich wollte hier nicht den Laden aufhalten, ich bin psychisch auch eigentlich ein ganz stabiler Typ.“

„Sind Sie nicht!“, ruft die Frau.

„Und das ist auch total okay, junger Mann“, sagt der Apotheker.

„Absolut!“, ruft die Frau.

Der Mann dreht sich um, nickt und lächelt, eine Träne läuft ihm übers Gesicht.

„Ich krieg noch 29,25 für die Masken.“

Er gibt dem Apotheker 50 Euro, sagt „Stimmt so! Vielen Dank!“ und stürmt aus der Apotheke.