Rotwein mit Sahnehäubchen

Der THW Kiel ist zum 21. Mal deutscher Handball-Meister. Die Entscheidung am grünen Tisch ist kurios, der Titel aber verdient. Trainer Jicha könnte damit eine neue Ära einleiten

Meisterfeier auf dem Sofa statt in der Halle: THW-Trainer Filip Jicha im, wie sich herausstellen sollte, letzten Saisonspiel gegen die Rhein-Neckar-Löwen Foto: Axel Heimken/dpa

Von Christian Görtzen

Beim Handballverein THW Kiel hat es in den vergangenen drei Jahrzehnten so einige Anlässe gegeben, den Gewinn von Trophäen zu feiern. Das lief bei Heimspielen dann wie folgt ab: Die letzten zehn Sekunden wurden von den Zuschauern wie vor einem Raketenstart heruntergezählt, der dumpfe Ton des Nebelhorns zum Zeichen des Spielendes ging schon im Jubelgeschrei der Massen unter.

Unten auf dem Spielfeld hüpften und sprangen die Spieler, Trainer und Betreuer des THW Kiel sofort wild umher. Und dann ploppten auch schon die Korken aus den Champagnerflaschen, Fontänen sprühten Richtung Decke, von wo aus glitzerndes Konfetti herabschwebte.

Im Jahr 2020 ist durch die Corona-Krise alles anders. Am Dienstagnachmittag beschloss die Handball-Bundesliga (HBL), die Saison sieben Spieltage vor dem regulären Ende abzubrechen und den Tabellenführer THW Kiel zum Meister zu ernennen. „Ich habe am Abend eine Flasche Rotwein getrunken, zusammen mit meiner Frau Hana“, sagt Filip Jicha, Trainer des Rekordmeisters. „Das war mit Abstand die ruhigste Titelfeier, die ich jemals mitgemacht habe.“ Der Club bringt es nun auf 21 Deutsche Meisterschaften.

Der ehemalige tschechische Nationalspieler Jicha kann auf so einige Vergleichsmöglichkeiten verweisen. Als Spieler wurde er unter anderem sieben Mal mit dem THW Meister, gewann zweimal die Champions League und fünfmal den DHB-Pokal, mit dem FC Barcelona wurde er zweimal Meister und Pokalsieger.

Und nun also der erste Titel als Cheftrainer eines Teams. So unschön die Rahmenbedingungen für den THW waren, so wichtig ist der Erfolg für den Club. Er beendet eine Durststrecke. Seit 2015, dem Jahr, in dem Jicha zum FC Barcelona wechselte, wartete Kiel auf den Gewinn der Meisterschaft. Mit Jicha als Chef hat beim THW Kiel die Siegermentalität ihr Comeback gefeiert.

„Im Profisport geht es oft nur um Nuancen, die verändert werden. So habe ich das auch gemacht“, sagt Jicha, der im Sommer 2018 in Kiel zunächst Co-Trainer wurde. An der Seite des erfolgreichen Isländers Alfred Gislason sollte er in die Aufgabe hineinwachsen. „Alfred hat mir unglaublich viel Raum gelassen, ich konnte relativ viel verändern“, sagt Jicha. „So etwas ist nicht gewöhnlich, das zeigt eine gewisse Größe.“ Und auch als die erste Spielzeit des Duos nicht mit dem ersehnten Meistertitel endete, sondern „nur“ mit dem DHB-Pokalsieg, blieb der THW bei seiner Linie.

Jicha lässt mehr rotieren als sein Vorgänger, er gibt auch Schlüsselspielern mehr Pausen. Das Offensivspiel des THW hat an Tempo und Raffinesse gewonnen. Der Angriff, gerade der Positionsangriff bei formierter gegnerischer Deckung, ist variantenreicher.

„Das war mit Abstand die ruhigste Titelfeier, die ich jemals mitgemacht habe.“

THW-Trainer Filip Jicha

Zudem ist der gerade erst 38 Jahre alt gewordene gebürtige Pilsener durch seine nicht weit zurückliegende Profikarriere nahe an den Spielern dran, er spricht die Sprache ihrer Generation. „Mir war es auch von Anfang an wichtig, mehrere Leute in die Arbeit einzubinden. Ich kann ja kein Experte in allen Bereichen sein“, sagt Jicha.

Er verweist auf Co-Trainer Christian Sprenger, auf Torwarttrainer Mattias Andersson oder Betreuer Michael Menzel, die alle eine hervorragende Arbeit machten. „Sie alle haben schon als Spieler probiert, wie das Sahnehäubchen schmeckt“, sagt Jicha. Gemeint sind Titelgewinne. Auch einem in der Champions League sind die „Zebras“ näher gekommen. Der europäische Verband EHF hat Kiel als Gruppensieger direkt ins Halbfinale gehievt.

Und dann sind da natürlich die Spieler: „Die haben in den schwierigen Phasen auf die Zähne gebissen, die sind mental unfassbar stark“, lobt Jicha. Da im Sommer auch noch der norwegische Topstar Sander Sagosen zum Team stößt, stellt sich eine Frage: Hat die neue THW-Ära schon begonnen? „Das wird sich zeigen“, sagt Jicha vorsichtig. „Wir bekommen mit Sander einen außergewöhnlichen Spieler hinzu. Aber ein Spieler steht nie über dem Verein. Wenn wir gemeinsam unsere Hausaufgaben machen, wird es für uns weitere Sahnehäubchen geben.“