Daten tanzen Cha-Cha-Cha

Señor Coconut wieder in Berlin: Der nach Chile ausgewanderte Uwe Schmidt ließ sich wenig Neues einfallen, schaffte aber Stimmung mit seinem Mix aus Kraftwerk- und Megahit-Coverversionen

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Als Uwe Schmidt 1997 von Frankfurt am Main nach Santiago de Chile auswanderte, hoffte die Elektronikszene, dass er von dort ein paar musikalische Postkarten verschicken würde. Was dann kam, war eher ein Großpaket. Uwe Schmidt, der Mann der mannigfaltigen Künstlernamen – am bekanntesten ist er als Ambient-Technoider Atom Heart –, wurde zu Señor Coconut, dem Verweser deutschen Kanon-Elektro-Liedguts im latinisierten Gewand: Das Album „El Baile Alemán“ schlug im Jahr 2000 ein als Apotheose postmodernen Coverwahnwitzes. Die Cha-Cha-Cha-, Mambo- und Merengue-Versionen des Señors gaben Anlass zu Geschmunzel, Beckenbodengymnastik und einigen Kritiker-Saltos: Der Post-Colonial-Diskurs wurde bemüht und die musikalische Entlarvung exotistischer Projektionen gefeiert.

Als 2003 das zweite Señor-Coconut-Album „Fiesta Songs“ erschien, gefror vielen das Schmunzeln im Mundwinkel: Uwe Schmidt tat sich an den großen Standards der Popgeschichte gütlich und überzog nun auch die Doors, Deep Purple, Sade und Michael Jackson mit einem flittrigen Poncho. Das Gewitzte der Kraftwerk-Versionen schmolz zu schaler „Witzischkeit kennt keine Grenzen“ zusammen, die Kritiker grantelten, die Plattenverkäufe fielen in den Keller und Uwe Schmidt musizierte lieber wieder mit dem Japaner Towatei.

Aber jetzt ging es doch noch mal, nach drei Jahren Berlin-Bühnen-Abstinenz: Señor Coconut spielten beim Popdeurope-Festival in der Arena am Samstagabend und zunächst als angenehmes Kontrastprogramm zur Vorgruppe Think Of One, deren purauthentische brasilianische Voodoo-Mama-Sängerin große weiße Plasteblumen im Haar trug, schrille Schreie ausstieß und den Chiffonrock hüpfen ließ. Uwe Schmidt stand dagegen einfach nur unbewegt mit seinen Monsterkoteletten hinterm Laptop und betrachtete anderthalb Stunden seine Musiker. Die haben mittlerweile den Poncho ausgezogen, tragen dunkle Anzüge mit Würde und kommen allesamt aus Zentraleuropa. Dafür, dass sie nur das live umsetzen, was der „Maestro“ zuvor auf seinem Rechner zusammenprogrammiert hat, legten sie sich ordentlich ins Zeug, nicht überbordend exzentrisch, sondern gediegen virtuos – eine Haltung, die sonst eher alternden Freejazzern eignet. Schnell machten sie klar: Das hier ist kein Schenkelklopfer-Trash, das hier ist routiniert und mit ernst gemeinter Könnerschaft durchexerzierte Konzeptkunst.

Vorbereiten musste sich der Señor Coconut samt seinem Orchester auf dieses Konzert wohl nicht: Ausschließlich Jahre alte Repertoire-Knaller kamen zur Aufführung. Mit den „Showroom Dummies“ ging es los, der Mambo-„Smooth Operator“ folgte, dann waren noch „Tour de France“, „Riders On The Storm“ und „Smoke On The Water“ in der Cumbia-Version im Angebot. Der zu perlendem Charme auftauende Sänger Argenis Brito – stimmt, da ist ja doch noch ein waschechter Südamerikaner – radebrechte in hübschem Latino-Englisch, rasselte mit seinen bullenklötigen Maracas und bat den Meister immer wieder, „Give ’em hot!“ zu machen. Schmidt neigte dann gnädig sein Haupt, startete den nächsten Track vom Rechner und hatte wieder fünf Minuten nichts zu tun.

Als Zugabe wurde Sades „Smooth Operator“ einfach wiederholt: „We weren’t prepared for so much love!“ Das war ein bisschen ein Armutszeugnis, vielleicht aber auch ehrlich: Man konnte nicht damit rechnen, dass so viele Leute kommen würden, um ihre Tanzschul-Cha-Cha-Cha-Schritte auszupacken und sich derart über den null renovierten Auftritt von Señor Coconut zu freuen. Alle Jahre wieder ist aber auch nichts einzuwenden gegen top arrangierte Musik, wundervoll behändes Marimbaphon-Geklöppel, präzise Bläsereinsätze und astrein gespielte Soli – sogar Schmidts Laptop durfte ein solches zum Besten geben. Und wurde dabei zum besten Showroom-Dummy, den man sich vorstellen kann.