: Spielplätze für die Office-Family
In Zeiten der Homeoffices lohnt ein Blick auf die Geschichte der Büroarchitekturen. Innovationen wie die „Bürolandschaft“ der Brüder Schnelle aus Quickborn wiesen den Weg in eine Welt, in der Büroarbeit aussieht wie ein Freizeitspaß. Aber viele kommen darin nicht vor
Von Bettina Maria Brosowsky
„Hannover duscht jetzt lieber später“, vermeldete kürzlich die dortige Lokalpresse, der Wasserverbrauch sei aber konstant. Die Süddeutsche Zeitung präzisierte für die Hauptstadt: genau anderthalb Stunden später. Dieser ja nicht unsympathische Schlendrian wird im Wesentlichen darauf beruhen, dass jetzt der Nachwuchs nicht mehr in aller Herrgottsfrühe in Kita und Schule verfrachtet wird, sondern zu Hause doch so etwas wie Coronaferien machen darf.
Auch eine andere Gruppe startet jetzt vielleicht später in den Tag: diejenigen, deren Tun sich aus dem Homeoffice erledigen lässt. Denn auf einmal scheint ein vormaliges Privileg der Führungskräfte das Gebot der Stunde, damit trotz Social Distancing und Lockdown weiterhin der Schein aufrechterhalten werden kann, als würden von all den bundesdeutsch und weltweit Tätigen, an all diesen Netzwerkrechnern und Laptops, unter all diesen Webcams und Headsets ernsthafte und nun zur Systemrelevanz erhobene, gern als „Wissensarbeit“ bezeichnete Dinge verrichtet.
Schaut man sich allerdings einmal die modernen Büroarchitekturen an, ihre, nun in Teilen ja verwaisten Interieurs und Möblierungen, so hatte man schon seit Geraumem den Eindruck, dass es hier gar nicht mehr ums Arbeiten geht. Man blickt in eine mit Fitnessartikeln, Sitzkissen und bunten Klebezetteln infantilisierte, wenngleich offensichtlich gut alimentierte Freizeitwelt. Betitelt als „non-territoriale Bürokonzeptionen“, mit Design-Preisen bedacht, irritiert manch Konservative das ganz offensichtliche Fehlen von Schreibtischen.
Ein Umstand, der allerdings mehr als kompensiert wird durch meterlange Sofas zum digitalen Herumlungern, Kojen fürs Powernapping nach (oder vor) erschöpfendem Meeting oder Thinktank geheißene Kabuffs, sollte doch mal jemand der Sinn stehen nach einem konzentrierten Telefongespräch, gar derartigem Tätigwerden.
Tee- und sonstige Küchen gehören originär zum Repertoire. Sie dienen nicht nur elementarer Versorgung, sie sollen WG-Feeling bringen in die gern als Familie, als „Family“ zwangssozialisierte Gemeinschaft abhängig Beschäftigter, die ewig Ende 20 bleiben.
Selbstverständlich bedürfen all diese neuen Büroformen eines wissenschaftlichen Unterbaus. In Deutschland leistet das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) solche Basisarbeit, so in seinem bereits 1996 ins Leben gerufenen Programm Office 21. „Mit unseren Forschungen identifizieren wir aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der Wissensarbeit und leiten daraus Handlungsoptionen zur Gestaltung und Implementierung neuer Arbeitswelten in Unternehmen ab“, heißt es in der Zielsetzung.
Die brandneue Studie „Office Analytics“ destillierte aus 13.000 Befragungen konkrete Handlungsanleitungen für die Gestaltung von Arbeitsumgebungen, die unternehmerische Erfolgsfaktoren wie Wohlbefinden, Zufriedenheit, Motivation und Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden fördern, um weitere Verlautbarungen zusammenzufassen. Selbstverständlich gibt es auch eine internationale Leitmesse fürs einträgliche Gewerk minimaler, konzeptioneller wie ästhetischer Halbwertszeit, die alle zwei Jahre in Köln stattfindende Orgatec.
Wie aber ist es zu dieser Verschiebung gekommen vom einst als dröge verschrieenen, wenig Sozialprestige verheißenden Büro hin zur begehrten Stätte spätkapitalistischer Dekadenz? Seit vielen Jahren sind Drecksarbeiten und nicht lukrative Fertigungsprozesse in Niedriglohnländer Asiens, Südamerikas oder Afrikas ausgelagert. Das betrifft die schnelllebige Billigmode, Agrarerzeugnisse oder Autoteile, aber auch pharmazeutische und medizinische Produkte, wie uns gerade gewahr wird.
Diese globalwirtschaftliche Renditeoptimierung bietet die ökonomische Basis für kurz getaktete Produktgenerierungen, Marketing, kreativ- und kulturwirtschaftliches Trendsetting und Ähnliches, die modernen Domänen der Firmenzentralen in westlichen Ländern. Sie titulieren sich gern als „Campus“, eine bevorzugte Selbstdarstellung für eine solche „Innovation“.
Klar, dass sich Funktionen im Büro in den vergangenen Jahrzehnten ändern mussten, ähnlich der Konsumgüter- oder Agrarindustrie. Schon in den 1960er-Jahren zogen in Westdeutschland frei aufstellbare Möblierungen in das flexible, so bezeichnete Großraumbüro ein. Der Trend kam aus den USA, eine Inkunabel sind die 1939 in Racine, US-Bundesstaat Wisconsin, fertiggestellten Johnson Wax Headquarters. H.F. Johnson Jr., Erbe eines Chemieunternehmens von (schadensträchtigem) Frostschutzmittel für Autokühler sowie Reinigungs- und Politurprodukten fürs perfekte Zuhause, trat mit dem Anspruch an, das beste Bürogebäude der Welt zu errichten und verpflichtete den besten Architekten der Welt.
Das war, aus Perspektive der USA, Frank Lloyd Wright. Dieser sparte auch nicht mit Worten: Die Firmenzentrale sollte eine sozio-architektonische Interpretation der modernen Wirtschaft sein, ein inspirierender Ort zum Arbeiten, wie es keine Kathedrale zum Beten je vermocht habe. Dem entsprach Wrights heroische, betörend elegante Architekturatmosphäre: ein extrem überhoher Raum, umgeben von einer Galerie, durch ausgeklügeltes Oberlicht erhellt und diszipliniert möbliert mit eigens entworfenen Inseln zum Arbeiten.
Vorreiter in Deutschland waren die Möbelfabrikanten Wolfgang und Eberhard Schnelle in Quickborn bei Hamburg, die 1958 die sogenannte Bürolandschaft entwickelten und als Pilotprojekt im Gütersloher Verlagshaus Bertelsmann installierten. Nach 1960 spalteten sich Beratungsgruppen wie das Quickborner Team ab, deren Aufträge bis in die USA reichten oder, in den 1970er-Jahren, ins Bonner Bundeskanzleramt, um dessen Büroorganisation zu optimieren.
Während noch allerorts die Bürolandschaften zum Horrorambiente anwuchsen, arbeiteten die Berater bereits am Paradigmenwechsel: Erst kam das Kombibüro, eine Mischung aus Landschaft und rehabilitiertem Einzelbüro, dann das Desk Sharing, dann das „flexible Office“, besagtes non-territoriales Arbeiten, über dessen Spaßmutanten wir nun staunen. Aber erodiert in diesem permanenten Freizeitgegaukel nicht die Seriosität, die Würde einer Tätigkeit? Und damit das Verantwortungsgefühl fürs eigene Tun in einem globalen Wirtschaftssystem, dessen Verlierer wir, auch in Europa, gerade erleben? Sollte nicht nach dem Corona-Lockdown, wenn sich all die Innovationscampi wieder füllen, endlich die Zeit gekommen sein, für eine andere Welt, für anderes Arbeiten, zu streiten?
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