wortwechsel
: „Alle über 50 die Klippe runterstürzen!“

Der taz-Beitrag „Sperrt uns ein!“, in dem einige ältere Menschen zur freiwilligen Isolation aufrufen, hat hohe Wellen geschlagen. Leserstimmen zur Generationenfrage in der Krise

Links die Alten, rechts die Jungen? Oder lieber umgekehrt? Foto: Robert Michael/dpa

„Sperrt uns ein!“, taz vom 11.–13. 4. 20

Alle Senioren Sünder?

Als einigermaßen gut gestelltes Mitglied der Altersgruppe 70+ mit Südbalkon, Garten und viel grüner Natur dazu, könnte ich mich den Verlautbarungen der Protagonisten im Text von Heike Haarhoff ja anschließen, halte dies aber für unangemessen.

Ich kenne nämlich auch viele gering begüterte Senioren, die wenig zum Klimawandel beigetragen haben und noch nie die „Sünde“ von Schiffs-Kreuzfahrten begangen haben.

Und der Online-Leserin, die darum bittet, dass Frau Haarhoff und ihre Gesprächspartner:innen mal über ihren „gesettelten Akademikersolidarität“-Tellerrand hinaus schauen sollen, gebe ich zu bedenken, dass der Blick über den Tellerrand bei vielen Menschen doch nur dem Nachtisch gilt. H. W. Heinrich, Bissendorf

Freiwillige Quarantäne

Als selbst betroffener Rentner kann ich das Ehepaar Erlenbruch sehr gut verstehen. Falls wirklich nötig, ziehe ich Quarantäne für mich zugunsten eines guten Lebens meiner vier Kinder und sechs Enkel vor.

Die Anregung, vermögende Alte sollten mit einem freiwilligen Beitrag die wirtschaftliche Katastrophe abmildern, halte ich für höchst fragwürdig. Gerechter wäre eine gesetzlich grundierte Abgabe von allen Vermögenden, auch von den Alten. Eckard Dürr, Neuendettelsau

Menschenexperiment?

Wohlhabende RentnerInnen wollen etwas abgeben und sich einschließen? Schön, wenn man eine gute Rente hat, sich schon lange mit Biolebensmitteln ernährt, gebildet ist, ein Haus mit Garten, Kinder und Enkelkindern hat, die für einen einkaufen und dazu auch noch privat krankenversichert ist, dann kann man das ja auch machen. Für viele ärmere oder einsamere Menschen ist das aber nicht möglich und die verlangte Selbstdisziplin eine Überforderung. Ich finde, wir sollten kein Menschenexperiment starten.

Sabine Sabranski, Berlin

Seniorenselbstopferung

Was sollen denn diese sozialdemokratisch weich gespülten Vorschläge? Besser und genauer wäre doch: „Alle über 50 die Klippe runterstürzen!“ Das würde doch alle Probleme sofort lösen! Ihr seht, da ist noch Luft nach radikal. Also nur Mut und haut in die Tasten.

Herbert Hinsch, Hamburg

Zu kurz gedacht

Das Virus wütet inzwischen in den „isolierten“ Alten- und Pflegeheimen. Hebt man die Einschränkungen für die Jüngeren vollständig auf, werden diese das Virus in kürzester Zeit in alle Sozialeinrichtungen und Privathaushalte mit Risikopersonen tragen. Eine Überforderung unseres Gesundheitssystems, in dem vor allem jüngere Menschen arbeiten, ist dann garantiert. Walter Arnold, Reutlingen

Verantwortungsbewusst

Liebe Frau Haarhoff, danke für Ihre Schilderung der Gespräche mit den Ehepaaren Erlenbruch und Kingreen! Menschliche Größe, Weisheit und Verantwortungsbewusstsein, wie sie schöner und bewegender nicht ausgedrückt werden können. Sie richten uns auf und beschenken uns. Hoffentlich können wir es ihnen zurück geben! Daniel Kriener, Caracas

Selbstschutz

Weg in allen erdenklichen Situationen mit undifferenzierten Beschränkungen für Menschen, die kein erhöhtes Risiko haben. Und dafür als eherne Regel des Selbstschutzes für alle, noch für längere Zeit genau abzuwägen, ob es sinnvoll oder riskant ist, sich der jeweiligen Situation auszusetzen. Das heißt für mich zum Beispiel noch eine Weile auf den samstäglichen Wochenmarktbesuch zu verzichten. Also: Wagt es, euch eures Verstandes zu bedienen! Annette Hirtler, Berlin

Wer leidet mehr?

Es ist müßig zu rätseln, wer mehr unter dem Eingesperrtsein leidet, aber jetzt zu sagen, Corona sei in erster Linie eine Bedrohung für die Älteren und der Rest der Gesellschaft könne so weitermachen, ist der Hammer. Beim Aidsvirus wurde auch gesagt, das sei nur ein Problem der Schwulen. Pustekuchen, es geht uns alle an. Dieter Fuchs, Beringstedt

Pauschale Spaltung

Nein, ich lasse mich nicht einsperren, und ich gehe auch nicht in Sack und Asche, weil es mir wie vielen anderen meiner Generation nicht gelungen ist, entsprechende Mehrheiten für Abrüstung, Klimaschutz und Ausstieg aus der Atomenergie zu gewinnen und den Hunger in der Welt zu beseitigen. In diesem Land leben 18 Millionen ältere Menschen, von denen die allerwenigsten je in ihrem Leben auf einer Kreuzfahrt gewesen sind. Ich warne vor einer Spaltung der Gesellschaft durch zunehmende Befeuerung eines Generationenkonflikts. Es ist in vielerlei Hinsicht völlig illegitim, eine ganze Generation zum Risikofaktor erklären zu wollen!

Norbert Freitag, Meersburg

Lebensaufgabe

Am Ende solcher Entwicklungen stehen Selektion und Selbstselektion. Die einen sagen mehr oder weniger deutlich: „Ihr habt euer Leben doch schon gelebt“, die anderen sagen: „Wir haben unser Leben schon gelebt“. Im Kern ist das aber dasselbe: Barbarei. Haresu auf taz.de

„Enteignen“?

Wenn wir schon über „Schuld“ und Verantwortung sprechen, warum schlägt niemand vor, die Wirtschaft und Hausbesitzer*innen zu enteignen und erst mal umzuverteilen? Darüber nachzudenken und zu sprechen finde ich weniger irre als darüber, alte Menschen, die häufig vereinzelt und am Existenzminimum leben, auch noch zu Hause einzusperren. Ich bin übrigens nicht „alt“.

Kirsten Sonnenburg, Berlin