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Die Marmelade nahm er überallhin

Parodie oder doch eher Rührstück? In „Herr Rudi“ lässt Anna Herzig das Leben eines Gerichtsvollziehers enden

Anna Herzig: „Herr Rudi“. Voland & Quist. Dresden 2020, 140 Seiten,

18 Euro

Von Thomas Schaefer

In Österreich sagen sie „die Trudi“ und „der Fritz“, „Herr Rudi“ und „Herr Karl“ (so wie beim Qualtinger selig). Und der Tod soll angeblich ja „a Weaner sein“. Wie auch immer. Herr Rudi, die Titelfigur im neuen Buch (das keine Gattungsbezeichnung trägt) der 1987 als Tochter einer Kanadierin und eines Ägypters in Wien geborenen Anna Herzig, hat auch eine spezifische Beziehung zum Tod.

Vor vielen Jahren ist Olivia, vulgo „die Livi“, seine erste und einzige Liebe, an Krebs gestorben, noch bevor die beiden anfangen konnten, die traute Zweisamkeit einzurichten und zu genießen. Dann hat Herr Rudi 40 Jahre lang in Wien als Gerichtsvollzieher gearbeitet und sich naturgemäß auf die freie Zeit danach gefreut. Doch zwei Tage bevor er in den Ruhestand geht, ereilt ihn die Diagnose, dass auch er an Krebs erkrankt ist. Und nun sitzt er in einem Hotelzimmer in Salzburg (wo die Livi herkommt), hat einen Hexenschuss, kniet auf allen vieren nackt auf dem Teppichboden, und auf dem Nachttisch liegt eine Pistole.

O du lieber Augustin, alles ist hin, könnte man ein berühmtes Wiener Lied zitieren, mit einer Ironie, die sich angesichts des traurigen Themas eigentlich verbietet, durch dessen Umsetzung aber wieder legitimiert wird. Denn Herzig erzählt die bittere Geschichte des Herrn Rudi in einer Weise, die der klischeegemäß süßlichen Koketterie der Wiener im Umgang mit dem Tod in fast schon parodistischer Manier gerecht wird.

Herr Rudi lässt sein Leben und seine lebenslange Livi-Liebe Revue passieren, dazu gehört auch die Freundschaft mit „dem Fritz“, der pleite war und dem der Herr Rudi als Gerichtsvollzieher unter die Arme griff. Nun ist der Fritz der einzige verbliebene Mensch, zwar hat Herr Rudi dem Fritz nichts gesagt, „weil, denkt der Herr Rudi, die Dinge, die einem passieren, die Angelegenheiten von demjenigen sind, dem die Dinge passieren“. Aber sinniert haben die beiden schon darüber, „was es zu bedeuten hat, das Leben“, wenn auch ohne Ergebnis: „‚Ich weiß nicht‘, sagt der Fritz und schaut in sein Weinglas. Dort findet man mal mehr, mal weniger Bedeutsames.“

So geht’s einem auch mit Anna Herzigs Text. Irgendwo war zu lesen, die Figur des Herrn Rudi sei eine Karikatur, und das möchte man fast glauben angesichts der paraphilosophischen Sentenzen („mit dem Leben ist es meist so: Entweder passiert dir alles oder eben nichts“). Auch erfahren wir, dass die Livi gern Marmelade gekocht und einen Karton davon hinterlassen hat: „Den hat er überallhin mitgenommen. Zu Vorstellungsgesprächen, zum Arzt, zur Führerscheinprüfung, auf die Toilette“. Man stelle sich vor!

Doch warum sollte die Autorin ihren krebskranken Helden so diskreditieren wollen? Es ist wohl doch eher so, dass wir es hier mit einem bitter ernst, das heißt furchtbar gut gemeinten Rührstück zu tun haben.

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