Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Frühling der Misanthropen

Foto: Roberta Sant'anna

Ein Video-Dinner ist mir zu dystopisch“, sagt der Freund am Telefon. Später treffen wir uns doch zu viert dazu, versuchen, nicht über Corona zu sprechen, was misslingt, und: „Ich schlage vor, wir sprechen darüber, was uns gerade am meisten ankotzt!“

„Sehr gern! Mich kotzt das esoterische Schöngerede an, dieses: Alles werde entschleunigt und endlich besinne sich mal jeder auf sich selbst.“– „Genau, vor allem, weil das nicht stimmt, alle beschäftigen sich nur mit Corona! Nicht mit sich selbst.“ – „Und wenn, dann ja nur mit sich selbst in einer Ausnahmesituation.“– „Eben: nicht alltagstauglich repräsentativ.“

„Die meisten Leute starren noch viel mehr ins Internet, sehen fern, hören Radio oder lassen sich bis in den Schlaf von Podcasts zudröhnen!“ – „Die kollektive tiefergehende Selbstreflektion fällt aus wegen ist nicht.“– „Alle zitieren nur noch, was sie da oder dort gelesen haben, was der Virologe oder der andere gesagt hat, niemand scheint mehr selber zu denken.“

„Naja, was soll man auch selber dazu denken? Ich bin weder Virologin noch Wirtschaftswissenschaftlerin.“– „Eigene Gedanken sind immer eine Option.“– „Aber bitte nicht von den falschen Leuten!“ –„Ich denke, dass Menschen, die beim Gehen telefonieren und mir dann halbwegs ins Gesicht labern, ziemlich dumme Arschlöcher sind!“– „Ja, genau wie die Jogger, die einem gedankenlos hechelnd entgegenkommen.“– „Ich denke, es ist ziemlich quälend, dass ich genau jetzt nach Jahren stolzer Abstinenz plötzlich wieder meine primitive unwählerische Libido bemerke!“– „Normal, Distanz schürt Leidenschaft! Was nicht geht, wirkt sexy.“

„Ich denke, man sollte gar nicht mehr über Klopapier reden.“– „Einmal noch! Also meine Schwester, die hat einen Freund, der ist irgendwie Therapeut und der sagt, das hat alles mit der analen Phase zu tun, also als wir lernten, aufs Töpfchen zu gehen. Festhalten und loslassen zur rechten Zeit! Deshalb wird die Sehnsucht nach Kontrolle aufs Klopapier projiziert.“– „Ich denke, mich nervt die ganze Dankbarkeit.“– „Ja, dieses zur Schau gestellte Wir-Gefühl!“– „Ach, das ist doch eigentlich ganz schön.“– „Nee, das hat so eine PR-Emotionalität, die ist nicht nachhaltig.“

„Ich denke, dieses Gerede, wir hätten den Chinesen nicht alles überlassen sollen, ist rassistisch und außerdem: Deutsche Unternehmer und Aktienbesitzer wollten unbedingt maximale Rendite.“– „Ich denke, dieses Gerede davon, dass nie wieder was wird, wie es mal war, nervt und ist außerdem nicht wahr.“– „Nee, es wird genauso werden, wie es mal war, nur noch schlimmer!“

„Naja, ich denke, es werden sich mehr Männer auch mal die Hände waschen.“– „Und sich umarmen.“– „Jetzt macht mal nicht so 'ne Geschlechter-Sache draus.“– „Das Virus unterscheidet auch zwischen den Geschlechtern.“– „Weil es kein Gehirn hat, sondern nur Andockstellen.“– „Ich will bei jemandem andocken.“– „Ich auch.“

„Ich nicht, eigentlich war ich immer schon genauso wie jetzt, ich mag soziale Distanz, ich find es befreiend, nur einen Menschen auf einmal mit Abstand zu seinem Mundgeruch zu treffen.“– „Weil du ein Misanthrop bist.“– „Aber ein zufriedener und damit: Das Vorbild der Stunde.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.