So viel Kritik muss sein: Benno Schirrmeister über die Buchausgabe von Hendrik Werners „Müßiggang“-Kolumnen
: Gesammelte Fährnisse einer Standard-Welt

Lustig ist, wenn‘s weh tut. Karikatur aus dem besprochenen Band Kari: Til Mette

Weil verboten immer das ist, was Spaß macht, sind Tugendtraktate ex-negativo-Guides in die Welt der Lüste. Und einig sind sie sich seit dem 19. Jahrhundert über den schnellsten Weg ins Verderben: der Müßiggang. „Den Müßiggang, [...] wie die Pest, zu fliehen“ impft der Prophet der bürgerlichen Ideologie Joachim Heinrich Campe Ende des 18. Jahrhunderts seinem Publikum ein. Hygiene dient dazu, Sex, Drugs und Beethoven einzudämmen, also wird sie mit Angst vor der Freiheit operieren, um die Räume dicht zu machen. Denn, „eine müßige Seele ist jedem Bösen offen“. Um es nett zu sagen: Hendrik Werner, der zehn Jahre lang der Kulturredakteur des Weser-Kurier war, hat den norddeutschen Oberlehrer widerlegt.

Denn „anderthalb Jahre lang lag neben dem Frühstücksei am Sonntag die Kolumne ‚Müßiggang‘“, so fasst es korrekt der Klappentext des Büchleins zusammen, in dem die 60-Zeiler nun noch einmal reproduziert sind. Und da lag sie dann lauwarm und wachsweich, leider waren Salz und Pfeffer alle. Abgesehen von den 46 Cartoons (Campe hätte von Zerrbildern gesprochen) von taz-Bremen Karikaturist Til Mette, der nebenher beim Stern und halt auch beim WK Geld verdient, ist hier nichts dem Bösen offen, der Provokation oder nur dem Konflikt.

Auch, weil die Texte eben nicht dem Müßiggang frönen. Das vermeintliche Nichtstun ist nur als Pause zugelassen, der „Generalverdacht der Trägheit“ muss abgewendet werden. „Mit fauler Haut“, insistiert Werner, „hat das nichts zu tun, sondern mit jener Kreativität, für die werktags kaum Raum und Zeit ist.“

So eingehegt und begrenzt ist die Ruhe nicht mehr anstößig. Sie ist vielmehr Bürgerpflicht und Gesetz, hält die Produktivität aufrecht und stabilisiert den Klassenstandpunkt. Immer flanierte der Dandy, den es nicht mehr gibt, sonntags aber der Bürger. Der Arbeiter tritt allenfalls in Erscheinung als Tölpel, der „überengagiert“ bei der Gasumstellung „eine Leitung ohne Not [...] gründlich demoliert“.

Das ist die annähernd welthaltigste Passage der Kolumnen: Ihre Themen ziehen sie aus Büchern und dem standardisierten Leben, dessen Fährnisse Hundehäufchen, Übergewicht und neue Geschäftsmodelle wie etwa das eines Unverpackt-Ladens heißen.

Um die Texte sprachlich auszuzeichnen, strapaziert Werner das Mittel der Alliteration, und um die behagliche Ironie der Sinnsprüche, mit denen die Kurztexte enden, als Pointe zu verkaufen, sind diese ab Folge neun durchgängig der Kunstfigur „meine Oma“ in den Mund gelegt. Laut Klappentext „dürfen“ die Leser*innen darüber „nachdenken, schmunzeln oder herzlich lachen“. Pflichtbewusst werden sie es tun, sofern sie es denn können.

Hendrik Werner: Müßiggang – Bremen am Sonntag. Mit 47 Karikaturen von Til Mette, 132 S., 9,80 Euro