Die Stimme der Solidarität

Der Schauspieler Rolf Becker feiert seinen 85. Geburtstag

Am Mittwoch hätte der Hamburger Schauspieler Rolf Becker im Kulturzentrum Schlachthof in Bremen auf der Bühne stehen sollen. In der Vormittagsvorstellung hätten 400 Schüler*innen in dem dokumentarischen Musik-Theaterstück „Drei Tage im März“ etwas über die Deportation der nordwestdeutschen Sinti und Roma vom gleichen Ort nach ­Auschwitz-Birkenau im März 1943 erfahren. Daraus wurde aus bekannten Gründen nichts. Bei der Premiere vor einem Jahr staunten die Lehrer*innen, wie konzentriert ihre 14- bis 17-jährigen Schüler*innen zuhörten, als Becker den Überlebenden des Holocaust seine Stimme gab.

Dies ist nur eines von zahllosen Projekten, die Becker unterstützt hat – sei es eine Gewerkschaftskundgebung, die Erinnerung an die Bremer Räte-Republik oder eine Lesung des Auschwitz-Komitees. Er geht auch dahin, wo keine Kamera steht. Wie im letzten Jahr, als er ein Flüchtlingslager in Griechenland besucht hat. Auch wenn es kitschig klingt. Mir fällt bei Rolf Becker vor allem ein Wort ein: Solidarität.

Inzwischen würde er sich lieber direkt engagieren, „als mit Hilfe des Theaters die Welt zu verändern“, hat er vor Kurzem gesagt. Aber die Welt kann auf seine Kunst nicht verzichten. Auf sein präzises Spiel und seine unvergleichliche Stimme, die jedem Text zu der Bedeutung verhilft, die er verdient. Er geht im Kulturzentrum mit der gleichen Professionalität zu Werke wie im Schauspielhaus. Ebenso bei den Dreharbeiten für die Ärzte-Soap, für die er seit Jahren in Leipzig vor der Kamera steht – ohne sich hinterher doppelbödig zu distanzieren.

Vor etwa 20 Jahren saß ich im Speisewagen eines ICE neben ihm und traute mich nicht, ihn anzusprechen. Ich hörte nur, wie er den Kellner nach seinen Arbeitsbedingungen fragte. Als ich ihn vor eineinhalb Jahren vor einem Bistro in Hamburg St. Georg persönlich kennenlernte, war ihm wichtig, dass ich etwas über die „Schiffsbleche“-Skulptur auf dem Platz erfahre, die an das Werftensterben in den 1980ern erinnert. Bei jeder meiner seltenen Begegnungen mit ihm erlebe ich ihn so: immer auf das bezogen, was an- und vor den Augen liegt.

Und wenn sein 85. Geburtstag in eine Zeit fällt, in der viele um ihre Existenz fürchten, wird ihm das wichtiger sein als jede Lobhudelei auf ihn. Ralf Lorenzen