Der Weg der Bombe

Zum 60. Jahrestag des Abwurfs von „Little Boy“ auf Hiroshima lernt das ZDF die Bombe zu lieben: das Doku-Drama „Hiroshima“ (20.15 Uhr)

VON OLGA-LUISE DOMMEL

Bekam man in den 80er-Jahren mit dem Fertighaus seinen privaten Atombunker gleich mitgeliefert, liegt seit Ende des Kalten Krieges der Gartenpavillon wieder mehr im Trend. Die Angst vor einer nuklearen Katastrophe hat sich weitgehend verflüchtigt. Dabei gibt es heute mehr Atommächte als je zuvor, und die Zerstörungskraft aktueller Atombombenmodelle hat auch nicht gerade nachgelassen. Vor sechzig Jahren setzten die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal eine Atombombe ein, um Japan zur Kapitulation zu zwingen. Am 6. August 1945 bombardierten sie Hiroshima und drei Tage später Nagasaki. In kürzester Zeit starben mindestens 90.000 Menschen durch die Explosion oder gingen an den Folgen der atomaren Strahlung elend zugrunde. Aus Anlass dieses Jahrestages hat das ZDF nun ein – Ehrensache! – aufwendiges Doku-Drama koproduziert.

In Zusammenarbeit mit der BBC, Discovery Channel und dem französischen Sender TF1 entstanden, will „Hiroshima“ die „Geschichte einer Waffe“ erzählen. Doch auch ohne Guido Knopp vermag der Film mit seiner reißerischen Machart, die auf Überzeichnung, Pathos und wohligen Horror setzt, der Tragweite des Geschehens und den Opfern nicht gerecht zu werden. Chronologisch, detailversessen und streckenweise langatmig wird der Weg der Bombe rekonstruiert – vom ersten erfolgreichen Test in Alamogoro, über den Transport von „Little Boy“ zum US-Stützpunkt Tinian bis zum Abwurf über Hiroshima – in einem professionellen Kuddelmuddel aus Archivmaterial, nachgespielten Szenen und Interviews mit Zeitzeugen. Darunter Mitglieder der Besatzung des Bombers „Enola Gay“ und Überlebende aus Hiroshima.

In allen Einzelheiten darf der Zuschauer den kaugummikauenden GIs bei der Verladung der Bombe und ihrem heldenhaften, weil riskanten und auf eigene Faust unternommenen Scharfmachen während des Fluges beiwohnen. Regisseur Paul Wilmshurst hat bei seiner Arbeit gelernt, die Bombe zu lieben. Er erliegt der Faszination Waffentechnik. Die gipfelt in der Inszenierung des Bombenabwurfs, dem absurden Höhepunkt des Films. Aus allen erdenklichen Perspektiven sieht man das Ding in vollem Glanze und in Echtzeit – 43 Sekunden – fallen.

Mit ihrer Detonation kippt jedoch das zuvor in bester Hollywoodmanier gestylte Unternehmen immer häufiger ins Godzilla-Trash-Genre ab. Die Druckwelle fegt über eine Bauklötzchenstadt dahin. Die Leiden der japanischen Zivilbevölkerung werden in billig wirkender, brennender Theaterdekoration ausgeschlachtet. Was die Dimensionen des tatsächlichen Grauens fatal verfälscht und tendenziell ins Lächerliche zieht. Dagegen helfen auch die wenigen Originalaufnahmen nicht.

Aufklärung über politische Hintergründe erwartet man von „Hiroshima“ vergebens. Umso dankbarer ist man für die Aussagen der Zeitzeugen. Zeichnet die amerikanischen Soldaten die typische I-did-my-job-Haltung aus, äußert der japanische Militärarzt Dr. Shuntaro Hida die Meinung: „Sie [die Amerikaner] kannten aber nicht das Ausmaß der Schäden, die durch die Strahlungen verursacht würden (…). Also machten sie ein Experiment, ein Experiment an Menschen.“

Und das ZDF hat nichts Besseres zu tun, als dieses Experiment detailgetreu nachzubauen und zur besten Sendezeit in die bundesdeutschen Wohnzimmer zu schütten. Echt bombig.