DIE IRAKER ZAHLEN FÜR DEN ERFOLGSDRUCK DER USA EINEN HOHEN PREIS
: Hauptsache Gesicht gewahrt

Washington befiehlt, Bagdad gehorcht. Unter dem Druck der Amerikaner haben die irakischen Verfassungsautoren ihre Bedenken beiseite geschoben und sich zur Einhaltung des Zeitplans für die Ausarbeitung der Verfassung verpflichtet. Nun müssen sie dem Parlament bis zum 15. August einen Verfassungsentwurf zur Abstimmung vorlegen. Das scheint angesichts der Streitpunkte illusorisch, ausgeschlossen ist es aber nicht.

Ob Interimsverfassung, vorläufiges Grundgesetz oder Wahlen – in allen heiklen Fragen der letzten zweieinhalb Jahre haben sich die verschiedenen Fraktionen in letzter Minute auf einen Kompromiss geeinigt. Doch diesmal geht es um mehr – nämlich um die Identität des neuen Staates. Wie islamisch soll er sein? Wie viel Macht soll die Zentralregierung haben, wie viel die Provinzen und Kommunen? Wie werden die Einkünfte aus dem Ölreichtum verteilt? Ist der Irak ein arabischer Staat? Scharia und Föderalismus sind die Schlagworte, hinter denen sich der Streit verbirgt.

Die schiitische Mehrheitsfraktion will den Irak in einen Religionsstaat à la Iran verwandeln, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz. Die arabischen Sunniten beharren auf einer starke Zentralmacht, während die Kurden die Zukunft in vielen autonomen Kantonen sehen, was ihnen auch die Machtübernahme in Kirkuk erleichtern würde.

Die Konflikte zwischen den großen ethnischen Gruppen im Zweistromland – arabischen Schiiten, Sunniten und Kurden – sind explosiv. Sie zu lösen kann Jahre dauern. Diesen langen Atem hat Washington nicht. Angesichts der vielen Opfer unter den Soldaten will die Bush-Regierung raus aus dem Irak, Abzugspläne liegen in den Schubladen. Sie lassen sich nur umsetzen, wenn es auf der politischen Seite Erfolge gibt, egal für welchen Preis. Vielleicht finden die Verfassungsautoren eine Kompromissformel, die die heiklen Streitfragen umschifft. Beigelegt sind die Konflikte damit nicht. Doch darum geht es in Washington nicht mehr. Hauptsache das Gesicht gewahrt, lautet dort die Devise. Den Rest können die Iraker unter sich ausmachen – auch mit Waffengewalt. INGA ROGG